Alt und besser

TREND Revitalisierung

Wir brauchen neuen Wohnraum, neue Geschäfte, neue Büros. Dafür müssen wir nicht neu bauen. In der Revitalisierung liegt der Schlüssel zur effektiven Immobilien- und Stadtentwicklung.

Wie schade wäre es um die Kirche St. ­Elisabeth in Aachen gewesen. Weg­reißen? Um Gottes willen! Aber was sollte der Käufer damit machen, der Sakralbau war Teil eines Ensembles, das der Projektentwickler Landmarken AG gekauft hatte. Dass daraus ein Digital-Hub, eine Coworking-Stätte und Vernetzungshaupt­quartier für die digitale Welt wurde, ­dachte anfänglich niemand. „Wir hatten ­einen Heidenrespekt vor der Entwicklung“, meint Jens Kreiterling, Vorstand der Landmarken AG, „aber wir luden die Leute ein, etwa bei einem World Café Ideen einzubringen.“ Obwohl Universitätsstadt, gab es in Aachen noch keinen solchen Hub, also wurde das katholische Bauwerk von der Kirche offiziell entweiht und danach mit poppig-bunten Gemälden und flexiblem Mobiliar aufgepeppt. Sämtliche Einrichtungen lassen sich wegschieben, so entsteht Platz für Events. Selbst der Bürgermeister nutzt den Raum für Veranstaltungen.

Digital statt katholisch: Nachdem die Kirche offiziell entweiht wurde, arbeiten heute innovative Geister in dem Coworking Space.

Das Dorf als Hotel

Nachnutzungen können viele Gesichter haben, in der Schweiz wird zum Beispiel das kleine Bergdorf Corippo – Opfer der Landflucht – in einen Touristen-Hotspot verwandelt. Einst lebten hier zumindest 300 Leute, heute bevölkern nur noch zwölf Menschen die malerischen Steinhäuser unweit des Lago Maggiore. Eine Stiftung will das ändern, das Minidorf soll ein Hotel werden. Die Häuser sind die Zimmer, die Osteria wird die Rezeption, der Dorfplatz die Lobby. Ein Konzept, das funktioniert, sogar neue Hotels wie etwa das Park Hyatt Mallorca werden nach dem Dorfprinzip gebaut. Also kauft die Stiftung Häuser an und revitalisiert sie gemeinsam mit der restlichen Infrastruktur. Für die erste Phase der Umwandlung des Geisterdorfs in ein Alpenhotel werden knapp drei Millionen Euro in die Hand genommen. Zugegeben: Bei so wunderbaren Gebäuden scheint es fast logisch, sie zu erhalten. Muss man aber nicht. Wenn sie nicht unter Denkmalschutz stehen, kann sie der Eigentümer auch wegreißen. „Die Gretchenfrage für einen Investor lautet natürlich: Wann macht die Revitalisierung Sinn?“, erklärt Wolfgang Kradischnig von Delta, einem internationalen Planungs- und Beratungsunternehmen mit Hauptsitz in Wels, das zahlreiche Revitalisierungsprojekte analysiert hat und daraus eine Art Liste mit Erfolgskriterien abgeleitet hat. Zum einen stelle sich die Bebauungsfrage, so Kradischnig. Oft dürfe das Volumen ­eines Neubaus gar nicht mehr so hoch sein wie das des existierenden Gebäudes. Der Denkmalschutz ist ein weiteres Kriterium, das aber nicht gleich ein No-Go bedeute.

Aus dem Kassensaal der Länderbank wurde eines der besten Restaurants Wiens.

Denkmalschutz? Super!

Antiquitätenhändler Jürgen Hesz hat mit dem Denkmalschutz keine Probleme. Dieser sei ohnehin super kooperativ, wenn man gemeinsame Lösungen sucht, und froh, wenn sich jemand um die alten Gebäude kümmere. Das sieht Kradischnig genauso, denn ein abgesandeltes Gebäude ist ja auch nicht im Sinne der Behörde. Und ganz ökonomisch betrachtet, so Hesz, bringe der Denkmalschutz auch einen Steuervorteil, weil der Abschreibungszeitraum dreimal kürzer sei als bei herkömmlichen Immobilien. Hesz kaufte 2001 aus einem Konkurs bei der Bank Austria das Gelände rund um die ehemaligen Elin Werke in Wien-Donaustadt, heute – nach weiteren kleinen Zukäufen – umfasst die Liegenschaft 62.000 Quadratmeter. Auf dem Areal stehen fünf Hallen, einige davon sind bereits saniert. „Andere züchten Pferde, ich richte Hallen her“, so Hesz trocken über sein „Hobby“. Letztes Jahr habe er über 200.000 Euro investiert, damit die (bereits revitalisierten) ­Hallen angenehm beheizt sind. Das Raum­klima bei einer 16 Meter hohen Halle mit viel Einfach-Glasflächen in den Griff zu bekommen, ist eben nicht so leicht. „Das sogenannte Kesselhaus ist außen denkmalgeschützt, der Rest steht unter Ensembleschutz“, erklärt Hesz. Das Alte sei aber gerade das, was den Charme der Location ausmache. Das Gelände wird für Veranstaltungen aller Art genutzt, von der privaten 100-Personen-Feier bis zur Messe für Anime- und Mangafans Anfang September mit rund 25.000 Besuchern an drei Tagen. Hauptsächlich gebe es Firmenveranstaltungen, Messen und Produkt­präsentationen, eine Halle verfügt sogar über einen eigenen Lift für Autos.

1773 wurde das Home House am Londoner Portman Square gebaut. Von einer Investorengruppe wurde es liebevoll saniert und mit den beiden angrenzenden Gebäuden verbunden. Heute befindet sich ein spannender Membership Club sowie ein Boutique Hotel in den Räumen – ein Betreiberkonzept, das auch bei uns Zukunft hat.

Umnutzungen: Sinnstiftende Tätigkeit

Neben den Bebauungsvorschriften und dem Denkmalschutz ist der dritte wesentliche Punkt bei der Beurteilung der Sinnhaftigkeit einer Revitalisierung die Bausubstanz. Delta-Chef Wolfgang Kradischnig: „Klar, dass bei Gebäuden der Nachkriegszeit die Qualität meist niedrig war, wohingegen Gründerzeithäuser eine gute Substanz aufweisen und viel besser wieder zukunftsfit gemacht werden ­können. Es muss untersucht werden, wie gut die bauliche Konstruktion ist, wie viele Zwangspunkte es gibt, also last­ableitende Punkte wie tragende Wände. Veränderungen an solchen Punkten gehen ins Geld!“ Alles in allem also ein recht ­komplexer Prozess. Und dann muss man sich vor­stellen, was es bedeutet, das Ganze für gleich mehrere Häuser zu machen. Für ein Ensemble etwa, wie es die Signa mit der früheren Zentrale der BAWAG am Tuchlauben und der ehemaligen Länder­bank-Zentrale Am Hof gemacht hat. Heute befinden sich im Goldenen Quartier Nutzungen aller Art: Hotel, Wohnen, Retail, Büro. Alle Objekte des Quartiers stehen übrigens unter Denkmalschutz, ­allein die Geschichten rund um die Wieder­herstellung des heutigen Park Hyatt nach dem Brand könnten Bücher ­füllen. Christoph Stadlhuber von der ­Signa: „Das Schwierigste an der Umnutzung ist es, den passenden Spirit zu finden. Eine Immobilie ist mit einem bestimmten Sinn gebaut worden. Bei ­einer Nachnutzung muss dem Gebäude ein neuer Sinn gegeben werden.“ Be­deutet konkret etwa, dass der Kassensaal der Ex-Länderbank heute eines der repräsentativsten Restaurants Wiens ist.

Zentren sterben – oder nicht

Wie wichtig es ist, den Bestand zu revitalisieren, macht so ziemlich jede kleinere österreichische Kommune klar. Ihre Zentren sterben aus, es wird zersiedelt und versiegelt. Anders in Weiz. In der oststeirischen Bezirkshauptstadt hat man eine vorbildliche Innenstadtentwicklung in Angriff genommen. „Wir haben ganz bewusst nicht auf der grünen Wiese außerhalb der Stadt ein Einkaufszentrum errichtet“, erzählt Bürgermeister Erwin Eggenreich. Erst wurde der Stadtkern in Bezug auf Gebäudebestand, Nutzungsart, Lebens­zyklus der Objekte und auf die bestehende Infra­struktur analysiert. Ein Übersichtsplan entstand. Standort & Markt ermittelte im Auftrag der Gemeinde die Kaufkraft und deren Ströme in der Region.

Folgeinvestitionen

Dann die Umsetzung: Zuerst einmal musste das „Jahrhundertprojekt“ Ortsdurchfahrt geklärt werden. „Ohne Erreichbarkeit keine Besucher“, so ­Eggenreich. Selbiges gilt für Parkplatzmöglichkeiten, daher wird das be­stehende Parkhaus erweitert. Und dann noch ein paar ­Geschäfte als Zugpferde, wie Jürgen Bruckner von dem Beratungs­unternehmen KROCON Asset Management sagt: „Wir werden einige attraktive Mieter haben, die für hohe Kunden­frequenz sorgen, und davon wird natürlich auch das Umfeld des Einkaufszentrums profitieren.“ Ein H&M etwa soll als ­Megamagnet dienen. So einfach? Nicht ganz. „Ein solcher Prozess erfordert Durchhaltevermögen und bringt nicht sofort von heute auf morgen sichtbare Ergebnisse“, fasst der Bürgermeister zusammen. Aber immerhin! Der geplante Impuls schlägt bereits Wellen und erste Folgeinvestitionen sind bereits sichtbar. Die leerstehende „alte Post“ (ein ganzer Gebäudekomplex) wurde in das Projekt Kernzone eingebunden und wird von einer Investorengruppe rund um den Steuerberater Harald Moharitsch entwickelt. 30 neue Wohnungen sowie eine Handelszone im Erdgeschoss entstehen im Verbund mit Feinkosthändler Ronald Bleykolm, der sein direkt angrenzendes Lebensmittelfachgeschäft flächenmäßig verdoppelt. Investitionen in die Kernzone tätigen außerdem die gegenüberliegende Raiffeisenbank, die ihre Firmenzentrale renoviert, und die Spar Gruppe.

Vorher das hässliche Entlein, danach ein lebenswertes Wohnprojekt: Das Althan in Wien wurde revitalisiert anstatt abgerissen.

Liebhaber mit langem Atem

Bis so ein Dominoeffekt eintritt, braucht es oft mehr Geduld als in Weiz. Die haben offenbar vor allem große Investoren. Auffallend ist nämlich, dass diese sich die Revitalisierung eher antun als andere. Im Portfolio der Signa finden sich auch die Wiener Häuser Kärntner Straße 11 (Apple Flagship Store), Graben 19 (Meinl Am Graben), das BA Kunstforum, der Verfassungsgerichtshof am Judenplatz und natürlich die von Otto Wagner geplante Postsparkasse sowie zahlreiche ­historische Gebäude in Deutschland. Dass ein Antiquitätenhändler grundsätzlich an alten Gebäuden Geschmack findet, liegt zwar auf der Hand, aber warum tut sich Jürgen Hesz die Sache in Wien-Donau­stadt an? „Die ursprüngliche Idee war, ein Antik­händler-Zentrum wie in Paris oder London zu etablieren. Wir merkten dann aber bald, dass Wien noch nicht reif war dafür. Also wandelten wir das Areal in eine Event-Location um. Sterile Räume bekommen Sie überall, aber hübsch renovierte Hallen in Kombination mit der ­Patina der Industrie und der Abnutzung – da bleibt jede Veranstaltung in ­Erinnerung.“

Rambazamba erwünscht

In Zukunft soll das Gelände auch eine vibrierende Kunst- und Kulturstätte sein. Heute schon finden in der Metastadt, wie das Areal genannt wird, Konzerte, Oldtimertreffen oder der sonntägliche Flohmarkt statt. „Von Freitag bis Sonntag soll es Rambazamba geben“, wünscht sich Hesz. Ein Ende der Fahnenstange sieht er noch nicht. Das bestehende Areal werde Schritt für Schritt entwickelt. Derzeit stehen der Außenbereich und fünf Hallen zur Verfügung, ein paar andere Gebäude sind noch vermietet. „Brutale Bausünden der 70er- und 80er-Jahre wurden rückgebaut bzw. neu gestaltet“, versichert Hesz, der sein Hobby offensichtlich mag und durchaus noch weitere Teile rund um das Gelände ankaufen möchte. Dabei hat er ganz gute Karten, denn: „Der Grund für die Verkäufe der Nachbarn war immer der viel zu hohe Erhaltungsaufwand.“