Das urbane Dorf

Trend Stadt- und Landplanung

Es ist quasi der Gegentrend zu Globalisierung und Urbanisierung: die Wiederentdeckung des Regionalen. Erste Initiativen versuchen, den ländlichen Raum wieder zu attraktiven Lebensgegenden zu machen.

Unseren Kindern lesen wir Bauernhofbücher vor, erzählen ihnen von der Idylle am Land und setzen sie in den Spielzeug­traktor – am Spielplatz mitten in der Stadt. Über dieses Stadt-Land-Paradoxon haben wir schon ausführlich berichtet (siehe zum Beispiel Immobilienwirtschaft 3|2016), ja die Mehrheit der Österreicher will gar nicht in der Stadt leben. Kommt es zur Renaissance der Provinz? Der Drang aufs Land wird bei aller Urbanität auch immer stärker und mit einem flexibleren Berufsalltag und technologischen Fortschritten auch immer leichter umsetzbar. Claudio T. arbeitet als Pilot. Sein Arbeitsablauf: Sechs Tage steuert er einen Privatjet durch die Lüfte, danach hat er fünf Tage frei, und die verbringt er bei seiner Familie in der Obersteiermark. Letztes Jahr sind sie von Graz ins Ennstal gezogen, haben dort ein Haus gekauft und sind keine zehn ­Minuten von den Großeltern entfernt. Auch für ­Christoph F. hat sich sein Leben verändert, seitdem er seinen Lebensmittelpunkt von Wien ins Salzkammergut verlegt hat. Obwohl er mittlerweile wieder bei einer Wiener Bank arbeitet, will der 35-Jährige nicht mehr weg aus der Idylle. Drei Tage in der Woche ist er im Wiener Büro präsent, zwei Tage macht er Homeoffice mit Blick auf den See, dann verbringt er das Wochenende beim Skifahren oder Wandern vor der ­Haustüre.

Die asiatische Hotelkette Hotel Jen (zehn Häuser gibt es aktuell) hat ihr Food-Konzept glokalisiert. Sie will ausschließlich lokal angebaute Produkte verwenden, um damit authentische Geschmacksrichtungen zu schaffen. Statt Glutamat-Sandwiches gibt es etwa Jen’s Signature Burger, doppelt knusprig gebratenes Huhn mit Parmesan, und Cheesecake in a Jar. Durstige Gäste erwartet ein Bier-Milchshake oder ein Cocktail namens China Lady mit hochprozentigem Shoshu. So kosmopolitisch kann lokale Küche sein.

Visionäre und Selbstbewusste

Einzelfälle? Bestimmt. Trendsetter? Gut möglich. Ein Revival der Dörfer wäre darüber­ hinaus wünschenswert, denn aktuell stehen in vielen ländlichen Gegenden Wohnungen, Einzelhandels- und Produktionsflächen zunehmend leer, umgekehrt fehlt es in den städtischen Boom-­Regionen an ausreichenden ­Flächen und insbesondere an bezahl­barem Wohnraum. Öffentliche Gebäude wie Schulen oder Krankenhäuser werden auf dem Land geschlossen, sind aber an anderer Stelle mit sonst anderweitig einsetz­baren Steuer­geldern neu zu errichten. Familien werden von stetig steigenden Immobilienpreisen an den Stadtrand oder in die Umgebung gedrängt, neue mitunter zersiedelte Speckgürtel und Schlafstätten entstehen. Umgekehrt ermöglichen es Technologien wie Breitband, dass mehr von zu Hause aus gearbeitet wird. Die Arbeit ­entkoppelt sich immer mehr vom Ort. Wobei, die Technologie sei gar nicht so entscheidend für die Urbanisierung des Dorfes, glaubt der Zukunftsforscher Matthias Horx. „Gerade die Wissensgesellschaft eröffnet dem Neo-Lokalen neue Märkte und Chancen, sowohl im Boom der Lebensqualität (von Biolandbau bis Gourmet-Bauernhof) als auch im menschlichen Beziehungswesen (von Gesundheits- und Therapieleistungen bis zu Sport und Naturerleben). Design, Kultur und Kunst sowie die Gastronomie können gerade in der tiefsten Provinz die entscheidende Rolle spielen“, schreibt Horx in einem Text zur progressiven Provinz. Für den Wechsel zum Dorf 2.0 brauche es lokale Visionäre, charismatische Bürgermeister, die die Welt gesehen haben und ein Best-of in ihre Heimat mitbringen. Weitere Voraussetzungen: Selbstver­trauen und Offenheit.

8-Punkte-Plan: Ländlichen Raum stärken – Metropol­regionen entlasten
1. Grundlagen bereitstellen: Breitbandversorgung und Mobilfunk ausbauen
2. Ländliche Räume erhalten: Wichtige Infrastrukturen sichern
3. Aufenthalts- und Lebensqualität steigern: Ortskerne revitalisieren und Zentren stärken
4. Identität durch Immobilien stiften: Gesicht zeigen und regionalen Charakter bewahren
5. Baunutzungs­verordnung umsetzen: Aktive Immobilien- und Bodenpolitik betreiben
6. Neue Immobilienformen entwickeln: Generationenwohnen, Dorfladen 2.0 oder ­Co-Working im Landgasthof ermöglichen
7. Homeoffice nutzen: Moderne Arbeitsmethoden fördern
8. Steuerliche und finanzielle Möglichkeiten etablieren: Anreize für Ortskernrevitalisierungen schaffen
Quelle: RICS

Weltkärntner

Die Macher und Unterstützer der „Initiative für Kärnten“ könnten so jemand sein. Da haben sich einige (Exil-)Kärntner zusammengetan, um den geografisch fantastisch gelegenen Teil Österreichs auch kulturell und gesellschaftlich fit und lebenswert zu machen. „In der Welt zu Hause – in Kärnten daham!“ steht auf der Website (www.fuer-kaernten.at) der unabhängigen Plattform, und in der Mission heißt es unter anderem: „Die ‚Initiative für Kärnten‘ soll ein Signal nach innen und außen sein, dass wir bereit sind, unser Schicksal selbst in die Hand zu nehmen und einen persönlichen Beitrag zu leisten, damit unser Kärnten wieder jenen Stellenwert in Europa erhält, der ihm zusteht (…) Für ein neues, offenes, initiatives, selbstbewusstes und innovatives Kärnten!“ Die Initiative organisiert Events, fördert Ausbildungen, ihre Web­site erzählt Rückkehrer-Storys und enthält eine Jobbörse. Trotzdem kämpft die Plattform damit, die richtigen Leute zu mobilisieren, wie ein Blogbeitrag von Heide Pichler-­Herritsch zeigt. Pichler-­Herritsch arbeitet als Tourismusberaterin, vielleicht trifft deswegen auch der Slogan der Initiative „In der Welt zu Hause – in Kärnten daham!“ so gut auf sie zu. Überhaupt spielt der Tourismus eine Schlüsselrolle in der Geisteshaltung der mondänen Provinz. Selbst das kleinste Bergdorf ist heute kosmopolitisch genug, um mit Touristen umzugehen – und trotzdem seine lokalen Besonderheiten, Werte und Traditionen zu behalten. Keine Branche im ländlichen Raum sei so international aufgestellt wie der Tourismus, meint Alexander Seiz, Stuttgarter Geschäftsführender Partner von Kohl & Partner (einem internationalen Beratungsunternehmen, dessen Gründer Manfred Kohl in Kärnten lebt). Nichts liege laut Seiz also näher, als Glokalisierung als neue Chance für den ländlichen Raum und den Tourismus zu begreifen.

Gegensätze können zur Synergie führen

Eine andere aktuelle Initiative richtet sich an die Politik. Die Royal Institution of Chartered Surveyors (RICS) hat unter dem Titel „Ländlichen Raum stärken – Metropolregionen entlasten“ einen 8-Punkte-Plan erstellt. „Wir erleben einen stetigen Zuzug in die Städte, es wurde in den letzten Jahren sehr stark auf die Stadtentwicklung fokussiert. Da blieb die Entwicklung im ländlichen Raum trotz des immensen Potenzials in manchen Regionen auf der Strecke. Hier wird oft gern vergessen, dass die Gegensätze von Stadt und Land Synergie-Effekte bieten und einen mindestens gleichwertigen Stellenwert für Staat und Gesellschaft haben“, meint Frank Brün, Vorstands­vorsitzender der RICS Österreich. Notwendig sei aber die Umsetzung eines Maßnahmen­bündels, unkoordinierte Solo-Aktionen wären wirkungslos. 

Blogeintrag der Initiative für Kärnten: Einmal rund um die Welt zurück nach Kärnten
von Heide Pichler-Herritsch

Ich habe während und nach dem Studium in Wien alle Gelegenheiten genutzt, ins Ausland zu gehen, habe in Italien, Spanien und den USA Zusatz-Ausbildungen gemacht und für internationale Konzerne gearbeitet. Nach 15 Jahren war die Zeit für mich reif, das spannende und vielfältige Familienunternehmen (Handel, Hotel, Tourismus) am „Ende der Welt“ in Heiligenblut zu übernehmen und zu entwickeln. Am meisten gefreut habe ich mich auf das Gestalten­Können im eigenen Unternehmen. Mittlerweile habe ich nach 17 Jahren am Berg meine Firmen-Anteile an meinen Bruder übergeben und bin zu meinem Mann an den Wörthersee gezogen, um neue unternehmerische Projekte umzusetzen.

Ist Kärnten zu bequem? Ich habe völlig unterschätzt, wie lange hier Entwicklungen dauern, wie schwierig es ist, Mitstreiter zu finden. Was der Gast als „Kärntner Leichtigkeit“ erlebt, ist im geschäftlichen Umfeld einfach nur „Bequemlichkeit“. Ich vermisse den Biss, die Leidenschaft, die Zielstrebigkeit, die Professionalität, das gemeinsame Entwickeln, den Mut, Dinge auszuprobieren, Neues anzunehmen. Solche Leute braucht Kärnten dringend und solche Leute brauchen gute Jobs und ein förderndes, positives Umfeld, unterstützende Rahmenbedingungen und vor allem eine Kreativitäts-, Leistungs- und Unternehmer-positive Grundhaltung. Der Rest kommt dann ganz von selbst – das Leben hier ist sonst sehr angenehm.

 

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