Gelegenheit macht Liebe
Von Immobilien-Apps und Proptechs wollte Familie Kirschkern nichts wissen. Dann bauten sie ihr Haus – und ganz versehentlich wurde die Zuneigung zu den digitalen Helferleins immer größer.
Familie Kirschkern mag’s gern bio. Mutter Elene kocht bevorzugt mit Produkten aus der Umgebung, was den Kindern egal ist, denn Franziska isst sowieso nichts und Simon alles. Für Netflix und Uber sind die Kids noch zu klein, die Eltern haben mit solchen Neuerungen nicht viel am Hut. Wobei: Dass sie bei ihrem Immobilienabenteuer so viel digitale Unterstützung von diversen Apps bekommen haben, hat sie dann doch verwundert. Dabei wollte die etwas exzentrische Familie erst gar nicht bauen, sondern mieten. Auf Immobilienportalen suchten sie nach einer geräumigen Wohnung am Stadtrand, möglichst beim Wald. Papa Konrad wurde dann auf diese Matching-Plattform im Internet aufmerksam. Dabei legen die Suchenden ein recht genaues Profil von sich an (inklusive Bonitätsnachweis) und geben ihren Immobilienwunsch ein. Passen die Kriterien zu einem Objekt, werden die Kirschkerns dem Vermieter vorgeschlagen, und dieser kann sich aus den besten Matches zehn potenzielle Mieter aussuchen und zur Besichtigung einladen. Die Maklergebühr hätten sich beide erspart – der Vermieter und die Kirschkerns, aber leider wurde daraus nichts, der Hauseigentümer bevorzugte sein Häuschen so einem spießigen Berater-Ehepaar zu vermieten. Lösungen wie die Matching-Plattform, die mit Immobilien zu tun haben, nennen sich Proptechs, ein Mischwort aus Property (für Immobilien) und Technology. Sie decken mittlerweile sämtliche Bereiche des Lebenszyklus einer Immobilie ab, von der Planung über das Investment bis zur Vermarktung und dem Betrieb eines Objekts. Alleine in der Immobilienvermarktung gibt es Dutzende solcher Proptechs, die entweder ganze herkömmliche Immobilienplattformen und Makler ersetzen wollen oder einzelne Teile des Vermarktungsprozesses einer Immobilie besser, effizienter, billiger – anders gestalten (siehe Grafik).
Effizienzsteigerung schon Realität
In vielen Fällen schaffen die technologiebasierten Lösungen einen richtig sinnvollen Nutzen. 72 Prozent der Immobilienunternehmen glauben, dass dadurch heute schon wichtige Effizienzsteigerungen erzielt werden (siehe Grafik). Für Verbraucher werden plötzlich neue Dimensionen eröffnet – etwa als Familie Kirschkern sich die Pläne des Architekten, der ihr Traumhaus schließlich plante, eingescannt hat und mit einem Tool namens Roomle an einem Abend die Immobilie in 3-D nachbaute, um sie versuchshalber mal einzurichten und dann virtuell durch sie durchzuspazieren. Das gab’s früher gar nicht, und wenn, dann nur bei Spezialisten um sauviel Geld. Auch virtuelle Besichtigungen wie picmyplace bringen den Konsumenten etwas: nämlich, dass sie zuvor schon am Smartphone oder Computer die 360-Grad-hochauflösend fotografierte Wohnung anschauen können und ein Raumgefühl bekommen und daher wissen, ob sich eine echte Besichtigung lohnt. Für den Eigentümer oder Makler bedeutet das, er hat weniger Besichtigungen, die sind dafür extrem vorqualifiziert.
Die Kirschkerns haben sich (nach zwei Jahren Suche und einem handfesten Streit über die Zukunft von sowieso allem) jedenfalls dazu entschieden, selbst zu bauen. Vermessen wurde ohnehin alles digital, der Beruf des Landvermessers hat sich ja auch dramatisch verändert in den letzten Dekaden. Dann die Bauphase. Um Gottes willen. Elene Kirschkern bekommt heute noch Reflux, wenn sie daran zurückdenkt. Hätte sie gewusst, was alles schieflaufen kann, sie wäre in der Stadtwohnung geblieben, Lärm hin oder her. Den Architekten wiederum stresste das gar nicht. Er hatte die Örtliche Bauaufsicht über und hat Planradar für sein Handy runtergeladen. Mit dieser App dokumentiert er jeden Mangel, macht ein Foto davon, verankert diesen im Online-Plan und weist die Aufgabe, den Mangel zu reparieren, dem entsprechenden Handwerker zu. That’s it – alles dokumentiert und im Griff. Wird der Mangel behoben, kann der Handwerker davon ebenfalls wieder ein Foto hochladen und darf die Aufgabe online abhaken. Klar, als Öko-Familie wollten die Kirschkerns nachhaltige Baustoffe einsetzen und lokale Betriebe engagieren. Weil Oma Kirschkern dann doch unlängst diese Welt verließ, war Geld weniger Thema. Aber die unüberschaubare Vielfalt an Anbietern machte die Eltern fertig (wobei Konrad schon beim Milchregal immer aufgeben will und jedes Mal zehn Minuten braucht, um den Sauerrahm zu finden).
Baustoffe miteinander vergleichen
Den Kirschkerns hätte jedenfalls eine andere App helfen können, nicht nur Geld zu sparen, sondern ihre Aufträge lokal zu vergeben und die Baustoffe besser aussuchen zu können. Der Architekt kannte das Portal yubau.com leider nicht, kein Wunder, das gibt es ja auch erst seit März 2017. „Innerhalb von drei Jahren soll es möglich sein, durch intelligente Vernetzung aller Beteiligten, ganze Bauvorhaben vergleichbar darzustellen und bei den einzelnen Planungs- und Änderungsschritten in Echtzeit zu wissen, wie sich die Kosten verändern“, lautet die Vision der von zwei ehemaligen Strabag-Mitarbeitern entwickelten Plattform. Im ersten Schritt kann der – private oder gewerbliche – User auf jedem Endgerät seine gewünschten Produkte nach den Kriterien Preis, Verfügbarkeit und Region suchen und vergleichen. Aktuell klappt das für Baustoffe, Werkzeuge und Maschinen. Apropos Geld. Um den Proptech-Trend zu verstehen, muss man den Mechanismus dahinter beleuchten. Oft handelt es sich um kleine Start-ups, die eine Idee anreißen, sie anentwickeln und dann möglichst viel Wirbel darum machen, damit sie ihre Idee schnell und teuer verkaufen können. So träumen zumindest manche Junge ihren Start-up-Traum. Hier ist zu unterscheiden, ob das Jungunternehmen mit eigenen Mitteln gestartet ist und eine tatsächlich sinnvolle Idee verwirklichen will oder ob sie nur gut im wortschatzreichen Bullshit-Bingo der Start-up-Szene ist und damit Kasse machen will. Jedenfalls ist das Investoreninteresse an solchen Immo-Tech-Unternehmungen in den letzten Jahren dramatisch gestiegen. Unterm Strich bleiben dann aber doch viele großartige Ideen. Wahrscheinlich würde auch diese Lösung aus Deutschland bei der Öko-Familie Anklang finden: Share & Charge ist ein System für die E-Mobilität, bei dem man seine eigene Ladestation – zum Beispiel vor dem Haus – mittels Software mit anderen teilen kann, also den selbst eingespeisten Strom anderen zum Tanken gibt. Dafür bekommt man ein Guthaben, mit dem man selbst wiederum sein Elektrogefährt bei anderen Tankstellen aufladen kann, oder man bekommt den Betrag einfach aufs Konto gutgeschrieben.
Bulgur und Spotify
Wie auch immer, die Anwendungsmöglichkeiten von Proptechs werden immer breiter und intelligenter. So erfunden die Familie Kirschkern auch ist, so real sind diese technologiebasierten Lösungen. Fast wöchentlich kommen neue dazu. Was den Kirschkerns egal sein kann. Sie sitzen auf der Veranda ihres neuen Hauses, essen einen Bulgurauflauf und hören gemeinsam Musik. Über Spotify.
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