Mit der Zeit gehen

Boardinghäuser, servicierte Apartments und Kurzzeitmieten werden immer beliebter. Wie das funktioniert und wie viel Potenzial in diesen Wohnformen steckt, erklärt Anett Gregorius im Interview.

Anett Gregorius

Anett Gregorius ist Geschäftsführerin von Boardinghouse Consulting, das sie bereits 1999 gegründet hat. Zudem ist sie Betreiberin der Online-Plattform www.apartmentservice.de

Warum boomt das Segment der servicierten Kurzzeitwohnungen gerade derart?

Anett Gregorius: Einer der Gründe für den Boom: Die Hotellerie ist bei Investoren als neue, lukrative Assetklasse in den Fokus gerückt – davon profitieren auch die ­Serviced Apartments.

Was unterscheidet das Serviced Apartment vom Hotel?

Anett Gregorius: Innerhalb des Hotelleriesegments sehen wir die Serviced Apartments in einer „Sandwich-Position“: Wir haben die klassische Hotellerie auf der einen, wohnwirtschaftliche Konzepte auf der anderen Seite. Seit einigen Jahren ist es auch in Deutschland im Trend, dass ein Teil der Gäste statt ins Hotel lieber ins Serviced Apartment geht – vor allem bei längeren Aufenthalten; da sich Serviced Apartments in der Regel durch eine viel individuellere Gestaltung auszeichnen. Interessant – auch preislich – sind Serviced Apartments bei einem Aufenthalt ab vier Tagen, richtig spannend wird es meist ab einem Monat. Im Gegensatz zu klassischen Hotel­zimmern sind Serviced Apartments mit einer Kochgelegenheit und getrennten Wohn- und Schlafbereichen ausgestattet. Sie sind insbesondere für Langzeitauf­enthalte (bis zu sechs Monaten) von Geschäfts­reisenden konzipiert, erfreuen sich jedoch auch bei anderen Ziel­gruppen großer Beliebtheit. Das Basisangebot an Services ist in einem Serviced-Apartment-­Konzept gegenüber einem Hotel reduziert. Das Konzept beruht auf einem gewissen Grad der Selbstversorgung durch den Gast, dennoch muss auf angenehme hotelähnliche Services nicht verzichtet werden, wie beispielsweise Rezeption, Wäscheservice, Frühstücks­angebot etc.

Gibt es einen Preisvorteil? Wenn ja, welchen und wie kommt der zustande?

Anett Gregorius: Ja, den gibt es: Serviced Apartments können einen höheren Mehrwert bei niedrigeren Kosten bieten. Die Preise liegen 20 bis 40 Prozent unter dem Preisniveau qualitativ vergleichbarer Hotelzimmer. Der Preisvorteil erklärt sich über das Konzept, da Serviced Apartments nicht gleichermaßen dienstleistungsintensiv sind wie vergleichbare Hotels (eingeschränkte Services, längere Aufenthalte etc.).

Wie präsentiert sich der österreichische Markt von Serviced Apartments für Sie?

Anett Gregorius: Es zeigt sich, dass Entwicklungen, die wir in Deutschland erlebt haben, immer wieder mit einigen Jahren „Verzögerung“ in Österreich ankommen. Beispielsweise haben sich die Häuser in Österreich erst später als in Deutschland von der starren Mindestaufenthaltsdauer von einem Monat gelöst und bieten nun teilweise auch kürzere Aufenthalte an. Im internationalen Vergleich lässt sich der österreichische Markt zu den eher kleinen zählen. Europas größter Markt ist Großbritannien, gefolgt von Frankreich und Deutschland. In Österreich spielt (aus Sicht von Apartmentservice) derzeit einzig Wien eine größere Rolle, Destinationen wie Salzburg, Graz oder Linz sind quasi nicht wahrnehmbar. Um die begrenzte Größe des Marktes zu verstehen, muss man berücksichtigen: Verglichen mit anderen europäischen Ländern – auch mit einzelnen Destinationen in Deutschland – ist der österreichische Hotel- und Mietmarkt nach wie vor recht entspannt. Für Geschäftsreisende, die während eines längeren Aufenthalts eine Unterkunft suchen (zum Beispiel Projektberater, Berufsanfänger, Mitarbeiter auf Job-Rotation) und klassisch auch gerne auf Serviced Apartments zurückgreifen, ist es in Österreich verhältnis­mäßig einfach, eine geeignete Unterkunft zu finden. Das spiegelt sich auch in den Preisen wider, die im Vergleich zum deutschen Markt seit Jahren deutlich niedriger ausfallen. Gleichzeitig ist es aber auch wichtig zu schauen, wie gut die ­Angebote überhaupt bekannt sind; es ist mein ­Eindruck, dass viele potenzielle Nutzer das Produkt „Serviced Apartment“ nach wie vor gar nicht kennen.

Wie groß ist denn der deutsche Markt für solche Produkte?

Anett Gregorius: Nach Großbritannien und Frankreich ist Deutschland der drittwichtigste europäische Markt für Serviced Apartments. Hier ist das Konzept seit den 80er-Jahren bekannt. Insbesondere in den letzten fünf Jahren hat das Segment eine deutlich erhöhte Aufmerksamkeit ­erfahren. Heute stehen in Deutschland rund 480 Häuser (mit je mehr als 15 Einheiten) mit rund 24.000 Apartments zur Verfügung – mit steigender Tendenz.

Im Vergleich zu Deutschland – welche Herausforderungen sehen Sie für den österreichischen Markt?

Anett Gregorius: Die wahrscheinlich wichtigste Aufgabe wird sein, Serviced Apartments als Nischenmarkt noch stärker bekannt zu machen und seine Potenziale besser zu nutzen. In Wien als Sitz mehrerer bedeutender internationaler Organisationen, in Graz als wichtiger Technologiestandort, aber auch in anderen (Landeshaupt-)Städten wären schnell viel mehr Geschäfts- und Privatreisende für die Vorzüge eines Serviced Apartments zu begeistern, wenn man nur umfassender um die Angebote wüsste. In den letzten Jahren entdecken mehr und mehr Privatreisende das interessante Angebot. Sicher auch wegen des Preisvorteils gegenüber einem klassischen Hotel, der schnell bei 30 Prozent liegen kann. Der Städtetourismus boomt wie nie zuvor. Österreich als beliebtes Reiseziel, vor allem auch für Kulturliebhaber, kann da sicher punkten. Als Thema für den österreichischen Markt ist sicher auch die Zertifizierung zu sehen. Serviced Apartments teilen sich nicht nur den Markt mit den klassischen Hotels, sondern haben auf der anderen Seite seit einiger Zeit auch verstärkt Konkurrenz von privat angebotenen Wohnungen, die auf Plattformen wie AirBnB unkompliziert Mieter finden. In Deutschland sehen wir ganz eindeutig, dass Häuser mit einem Gütesiegel einen klaren Wettbewerbsvorteil haben: Wir haben ein solches Siegel bereits 2005 entwickelt; seit 2014 vergibt der Verband Deutsches Reise­management (VDR) das Siegel „Certified Serviced Apartment“ – für die Gäste eine sehr gute und vor allem objektive Orientierungshilfe zur Auswahl von Longstay-Unterkünften. Dieses Siegel kann grundsätzlich auch in Österreich vergeben werden.

Checkliste: vom Hotelzimmer zum Serviced Apartment
• Zentrale, aber dennoch ruhige, innerstädtische Lagen mit guter Nahversorgung und Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr sind ideal.
• Größe der Einheit optimalerweise mindestens 30 Quadratmeter mit funktional getrennten ­Wohn- und Schlafbereichen.
• Küche oder Kitchenette zur Selbstversorgung. Ausgestattet im Minimum mit Kühlschrank, Kochgelegenheit, Spülbecken und Geschirr.
• Fokus auf wohnlichem Ambiente: Ausstattung der Apartments mit genügend Stauraum, Ablageflächen, Sitzgelegenheiten usw. Auf eine individuelle Gemütlichkeit durch Bilder, Lichtkonzept etc. ist dabei zu achten.
• Angepasste Services: Die Reinigung erfolgt zumeist im wöchentlichen Turnus, andere Services sollten nach dem Baukastenprinzip individuell buchbar sein.
• Degressive Preisstaffelung: Der Preis pro Übernachtung sollte mit steigender Aufenthaltsdauer abnehmen.

 

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