Dicke Luft

Österreichische Schulklassen erreichen nicht einmal die Mindestvorgaben für Raumluft. In zu klein geplanten Schlaf­zimmern konzentriert sich das CO2, und immer mehr Büromitarbeiter leiden unter Kopfschmerzen und Konzentrations­mangel. Weitere Leidtragende des schlechten Raumklimas: Versicherungen und die gesamte Volkswirtschaft.

Durchatmen! Weil, das ist nicht ohne: Jetzt haben wir viele nachhaltige Immobilien, bloß werden sie nicht so genutzt. In mehr als jedem fünften Büro ist der durchschnittliche CO2-Wert, der als Leitindikator für die Raumluftqualität herangezogen werden kann, zu hoch. Über 7.000 Einzelmesswerte aus Hunderten österreichischen Büroräumlichkeiten, vom Einzelunternehmer bis zum Konzern, zeigten in einer Studie der Plattform MeineRaumluft.at schon 2014 ein alarmierendes Bild. In über 80 Prozent der teilnehmenden Büros ist zumindest einer der gemessenen Indikatoren punktuell überschritten worden. Die Konsequenz sind im besten Fall „nur“ unkonzentrierte Mitarbeiter. Experten gehen aber jedenfalls von negativen Auswirkungen auf die Gesundheit und auf die Krankenstände der Mitarbeiter aus. Warum muss die Krankenversicherung zahlen, nur weil ein Gebäudebetreiber bei der Lüftung spart oder der Entwickler die falsche Technik eingebaut hat? Das Thema ist mittlerweile so heiß, dass auch schon Versicherungen beginnen, sich damit zu beschäftigen.
Die IMMOBILIENWIRTSCHAFT hat sich ein paar innovative Messgeräte geschnappt, hat sie in typischen Arbeits­räumen aufgestellt und zwei Monate lang getestet, ob es dicke Luft gibt. Denn mit den kleinen Dingern der Firma ­Thermokon ist das recht einfach: Die hand­flächen­großen Geräte funktionieren nach dem Plug-and-Play-Prinzip. Sie werden an­gesteckt, übertragen die Messdaten per Funk in die Cloud und schon kann man in Echtzeit auf einer verschlüsselten Website die Raumtemperatur, die Feuchtigkeit und den CO2-Gehalt ablesen. Die Kurven sind so klar, dass man zum Beispiel anhand des CO2-Anstiegs sofort erkennt, wenn eine Person im Raum ist. In Meeting­räumen rauscht der CO2-Wert sofort nach oben, laut Arbeitsstättenverordnung muss bei Überschreiten von 2.000 ppm verstärkt gelüftet werden oder eine Person den Raum verlassen – vielleicht künftig eine Ausrede, um sich aus langweiligen ­Besprechungen zu schummeln …

„Mit der richtigen Lüftung wären Leistungsgewinne im zwei­stelligen Bereich zu erwarten.“

Revolution von unten

„Das Problem mit dem CO2 gibt es aber auch in Schlafzimmern“, weiß Siegfried Gaida, Geschäftsführender Gesellschafter von Thermokon: Die seien oft zu klein ­dimensioniert und man bewege sich in den Räumen in der Nacht ja nicht – im Büro ­übrigens auch nicht. Der Clou der Messgeräte von Gaida: Wie ein Thermo­meter kann sich jeder Nutzer so ein Gerät selbst aufstellen, derzeit kostet es je nach Sensoren zwischen 100 und 300 Euro. Man braucht keinen Facility Manager mehr, um nachzuweisen, dass die Arbeits­bedingungen hinten und vorne nicht passen. Oder der Nutzer bekommt die Gewissheit, dass sie in Ordnung sind und seine subjektive Wahrnehmung ihn täuscht. Erstmals ist es jedenfalls simpel möglich, die Umstände zu objektivieren. Und wenn es stimmt, was viele Experten behaupten, nämlich dass das Raum­klima durchwegs schlecht ist, dann steht uns noch einiges bevor.

Revolution
MessgeraetMan muss heute kein Facility-Experte mehr sein, um die Raumluft zu messen. Einfach das Gerät anstecken und schon hat man dokumentierte Daten am Handy oder Computer. Das birgt natürlich Sprengstoff, erstmals können Mitarbeiter belastende Umstände im Handumdrehen nachweisen oder Zielwerte in Ausschreibungen festlegen.

Was ist optimal?

Aber was ist denn gesund, welche Werte sind gut für den Menschen? Eine Orientierung bietet das Behaglichkeitsdiagramm, es zeigt, in welchem Bereich sich das Raumklima optimalerweise bewegen sollte. „Neben den gesetzlich geregelten Para­metern „Temperatur“ und „Luftfeuchtigkeit“ – siehe dazu Arbeitsstättenver­ordnung § 28 – sind auch die CO2-Werte der Raumluft von immanenter Bedeutung für die anwesenden MitarbeiterInnen“, mahnt Marko Rostek, CTO beim Büro­berater teamgnesda. Eine Studie an der TU Wien, Abteilung Immobilien und Facility Management, analysierte ebenfalls, dass es mehr zur Beurteilung einer Raumklima-­Qualität braucht als nur Temperatur und Feuchtig­keit. Im Auftrag des KAV, des ­Wiener Krankenanstaltenverbundes, unter­suchte sie über die Kontinente hinweg, welche Gesetze, Normen und Standards in den einzelnen Ländern für das Raumklima gelten. Das Ergebnis in Kurzfassung: Neben dem thermischen Raumklima, das mittels Temperatur, Luftfeuchtigkeit, Luftgeschwindigkeit (zum Beispiel Zug) festgemacht ­werden kann, zählen die Innenraumluftqualität (Stichwort Schadstoffe; messbar über das CO2, weil es auch als Indikator für andere Schadstoffe gilt), visuelle Faktoren wie Tages- und Kunstlicht (Messgrößen sind die Lichtstärke und -farbe) und schließlich die Akustik. Sie ist am schwierigsten zu objektivieren, denn nicht alles, was laut ist, stört. ­Zwitschernde Vögel können durchaus beruhigen, während das Surren einer ­Gelse … naja, Sie wissen schon. Die Nachhallzeit bietet jedenfalls eine Messgröße an, die herangezogen ­werden kann.

Kulturelle Unterschiede

Nebenbei fand die Untersuchung noch ein paar Details heraus, die an unseren Vorurteilen kratzen. Gefühlt ist es in Büros in den USA ja immer deutlich kälter als in europäischen, die Normen sind aber gleich bzw. ähnlich wie bei uns, manche würden sogar höhere Raumtemperaturen am Arbeitsplatz zulassen. Und während bei uns das Rauchen am Schreibtisch schon quasi undenkbar ist, darf man in North Carolina durchaus noch seinen ­Tabak am Arbeitsplatz verqualmen. ­Weiters wird in unseren Büros viel Wert auf natürliches Licht gelegt, es soll viel davon geben und von der Seite kommen. Ganz anders in Asien und den USA, hier ist das bei Weitem nicht so streng geregelt. Auch bei den Superbüros von Google oder Face­book nicht, die sind vielleicht bunt und mit witzigen Accessoires ausgestattet, aber auch oft in Hallen untergebracht, wo das Tageslicht lediglich von oben einfällt. Sogenannte Workbenches in Japan oder auch in den USA sind häufig mit dem Rücken zum Fenster angeordnet, was zur Folge hat, dass der Bildschirm reflektiert und blendet. In Wahrheit bauen und probieren wir immer noch herum und wissen nicht, wie es richtig geht, meinen Experten hinter vorgehaltener Hand und verweisen auf die Diskussion rund ums Passivhaus. Der vorgesehene Luftaustausch, der in den dichten Häusern die Schimmelbildung verhindern soll, sei erstens nicht wahnsinnig energieeffizient und zweitens schon gar nicht menschenfreundlich: Die Luft sei zu trocken, der CO2-Wert zu hoch, meinen die Experten, weil in der Berechnung der Luftum­wälzung der Mensch, der Sauerstoff wegatmet, vergessen wurde.

Lösungen
Florawall

Florawall

Die simpelste Variante: Stoßlüften. Das geht aber erstens nicht immer, zweitens verändert sich möglicherweise die Temperatur zu Ungunsten der Nutzer (zum Beispiel im Winter) und Feinstaub könnte zum Problem werden. Andere Lösungen sind gut funktionierende Lüftungsanlagen oder Pflanzen, die auch im Nachhinein leicht ergänzt werden können.

Subjektivität auch ausschlaggebend

Wie wichtig es ist, individuell lüften zu können, zeigt außerdem eine andere ­Studie der TU Wien, ebenfalls an der Abteilung Immobilien und Facility Management durchgeführt. Fünf Schulen in Kärnten mit unterschiedlichen Ausgangsbedingungen wurden untersucht – mit/ohne Belüftung, eine hat sogar eine Anlage, die – abhängig vom CO2-Wert – die Frischluft regelt. Über ein Dreivierteljahr wurden CO2, Luft­feuchtigkeit, Temperatur und Mischgas gemessen. Man machte Konzentrationstests mit Schülern, Untersuchungen durch den Augenarzt (trockene Augen und ähnliche Beschwerden) sowie psychologische Tests, um die Zufriedenheit mit dem Raum zu messen. Zurück zur Subjektivität: In allen Schulen wurde, um die Luft (zumindest vermeintlich) zu verbessern, willkürlich mittels Fenster gelüftet. Danach wurde bei den Schülern die höchste Zufriedenheit mit dem Raum gemessen. Auch je höher die Luftfeuchtigkeit war, umso besser die subjektive Beurteilung. Wurde nicht mittels Fenster gelüftet, konnte in der Klasse mit der CO2-gesteuerten Anlage tatsächlich eine bessere Luft festgestellt werden, sie schnitt bei den Konzentrationstests auch immer etwas besser ab.

„Die Licht­verhältnisse in Büros von Google oder Facebook sind mitunter deutlich schlechter als bei europäischen Standards.“

Übrigens stellten mehrere Studien in den letzten Jahren fest, dass die Luft in den heimischen Schulen überhaupt beängstigende Qualität habe. LUKI (Luft und Kinder, eine Untersuchung des Lebensministeriums, des IBO und der MedUni Wien) kam zu dem Ergebnis, dass kein einziger geprüfter Klassenraum den Mindestvorgaben der Akademie der Wissenschaften/des Lebensministeriums entsprach. „Die Lernleistung nimmt schon ab 1.000 ppm CO2 ab, die Fehlerraten steigen. Ab etwa 1.400 ppm CO2 ist die Luftqualität laut österreichischer Akademie der Wissenschaften und ÖNORM EN 13779 als niedrig zu bezeichnen, viele Schulklassen liegen in mehr als der Hälfte der Lernzeiten darüber. Ab 2.000 ppm CO2 steigt die Rate an Kopfschmerzen (die häufigste Beschwerde bei Jugendlichen neben der ebenso durch schlechte Luft geförderten Müdigkeit)“, fasst die Österreichische Ärztekammer zusammen. Der Gerichtsgutachter und ­Leiter des Arbeitskreises Innenraumluft am Ministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft, Peter Tappler, sieht eine Lösung in den richtigen Lüftungsanlagen: „Würden alle Schulklassen mit einer Komfortlüftungsanlage ausgestattet, wären Leistungsgewinne im zweistelligen Bereich zu erwarten. ­Darüber hinaus würde die Anzahl der Krankenstände sinken, da zu erwarten wäre, dass die Ansteckungsgefahr beispielsweise in Grippezeiten abnimmt.“ Andere wollen sich nicht zu einzelnen Maßnahmen oder Gewerken bekennen und nur die Ziele vorgeben, indem man die objektivier- und messbaren Faktoren in die Ausschreibung packt und den Erfolg der Entwickler und Erbauer der Immobilie am Erreichen der anfangs festgelegten Werte misst. Da kommt dann natürlich wieder der Nutzer ins Spiel. Aber kann ein Eigentümer darauf Einfluss nehmen, wie sich zum Beispiel seine Büromieter verhalten? Ja, Green Leases, also Mieterverträge mit ­grünen Klauseln, werden immer besser, große Kanzleien und Immo-Player haben diese in den letzten Jahren deutlich weiterentwickelt. Jedenfalls steht fest: Nach­haltige Gebäude allein reichen noch nicht aus. Wir stehen am Beginn einer ­Diskussion. Noch ist die Luft nicht draußen.

Benchmark Wohlfühlklima
Benchmark_Grafik

 

Facebooktwitter Nach Oben | zurück