Wer anders wohnen will, muss anders planen

Die alte Baugruppenidee flammt wieder auf. Aber auch Projekte, bei denen zukünftige Mieter oder auch Anrainer bereits in der Entwurfsphase eines Wohnprojekts mitreden dürfen, liegen im Trend. Vielfältige Vorteile für die Nutzer – aber ein Mehraufwand für Planer und Bauträger.

Das gemeinsame Planen und Bauen ist international „in“. Nicht vergleichbar mit der Kommunenidee der 70er-Jahre, steht dennoch das Gemeinschaftliche einerseits und die Individualität andererseits im Vordergrund. Reinhard Seiss beleuchtet in seinem Film „Häuser für Menschen“ gleich zwei alternative Bauträger-Modelle – das Guglmugl von Fritz Matzinger und die Sargfabrik in Wien von BKK2. Beides schon in die Jahre gekommene Projekte und immer noch erfolgreich. Fazit: Die Mieterzufriedenheit ist, verglichen mit anderen Wohnprojekten, sehr hoch, die Identifikation mit dem Projekt wesentlich stärker, die Bewohner übernehmen mehr Verantwortung für „ihren“ Wohnbau.

Keine exzessive Partizipation

Als Pilotprojekt gilt das „so.vie.so“ im Sonnwendviertel. In dem Bauträgerwettbewerb war ein partizipativer Wohnbau ausgeschrieben. Robert Pfeffer, BWS-­Gruppe, wusste, worauf er sich einließ: „Ich hab bereits mit Cornelia Schindler gearbeitet – ich wusste, mit ihr schaffen wir diese Aufgabenstellung.“ Cornelia Schindler, s&s architekten, verfolgt bereits länger partizipative Prozesse, die autofreie Mustersiedlung war ihr erstes Projekt. „Wir fragten uns, was können wir im normalen Geschoßwohnbau für ­Menschen anbieten, die nicht an exzessiven gruppendynamischen Prozessen ­interessiert sind, sondern einfach nur eine Wohnung wollen. Die Intention ist Partizipation, bereits in der Planungs­phase, und ­Selbstorganisation in der späteren Nutzung.“ Das Ziel des Projekts war das „auf-einander-bauen“ in sozialen Nachbarschaftsnetzen. Die soziale Nachhaltigkeit hat dabei den gleichen Stellenwert wie die Ökologie.

Verkehrte Chronologie

s&s entwickelten ein Passivhaus mit unzählig vielen Wohnungstypen – mit Senkgärten, Dachterrassen, Gemeinschaftsräumen und Freiflächen. Bereits in der Entwurfsphase gab es reichlich Interessenten. Durch die offene Statik und die Flexibilität in der Längsrichtung konnten die zukünftigen Bewohner ihre Vorstellungen verwirklichen. Es gibt kompakte kleine Wohnungen bis zu großen Vier­zimmerwohnungen, jede mit Balkon. Pfeffer beschreibt die völlig veränderte Chronologie: „Wir suchten zuerst die Interessenten, planten dann mit ihnen gemeinsam und hatten so, bereits als die Einreichplanung fertig war, 60 Prozent der Wohnungen vergeben.“ Der Wohn­service Wien half bei der Vergabe und s&s ­architekten planten mit den Bewohnern um, erfüllten Sonderwünsche und er­arbeiteten Bedürfnisse. Zur Standardaus­stattung gab es ein großes Angebot an zusätzlichen Sonderausstattungen, aus denen die Mieter wählen konnten. Ein Mieter verlangte eine elektrische Schiebe­türe bei der Küche, berichtet Schindler: „Weil er, wenn die Frau in der Küche ist, die Tür zumachen möchte, und wenn sie serviert, sonst die Tür ja nicht ­öffnen kann.“ Birgit Eisler, eine zukünftige Bewohnerin, war auf der Suche nach einer leistbaren Wohnung. Da beide Architekten sind, waren sie sofort von dem Mitbestimmungsprozess begeistert: „Wir sind immer an den üblichen Grundrissen gescheitert – nun konnten wir unser Wohnungsmodell selbst finden.“

Viel Gemeinschaft, kompakte Grundrisse

Das hohe Angebot an Gemeinschafts­räumen ermöglicht kompakte Grund­risse, der am häufigsten gewählte misst um die 86 Quadratmeter. Das System setzt ein großes Vertrauen des Bauträgers voraus, denn es gibt natürlich ein Vermittlungsrisiko, wie Pfeffer einräumt. Aber auch die Planer hatten anfangs ihre ­Bedenken. Doch der Ansturm war enorm und alle Wohnungen konnten in Windeseile vergeben werden. wohnbund:consult koordiniert und moderiert die neun Arbeitsgruppen, die für das Funktionieren des gemeinschaft­lichen Lebens gegründet wurden, wie auch die Aktivitäten des Bewohnerbei­rates, veranstaltet Workshops zur Unter­stützung der Entwicklung der Wünsche. Die Bewohnergemeinschaft formierte sich bereits lange bevor der Wohnbau über­geben war. Ein ähnliches Projekt ent­wickeln die s&s architekten derzeit auch für den Bauträger Heimbau Eisenhof. In der Lorenz-Reiter-Straße in Simmering, nicht weit von den Gasometern, soll das Projekt „smart wohnen“ mit rund 150 Wohnungen entstehen. Die Vermarktung wurde Ende 2013 gestartet, die Fertig­stellung ist für Ende 2015 geplant.

Caritas als Partner

Mit der Oase 22 wagte die Gesiba ihr erstes experimentelles Wohnbauprojekt. Die Aufgabenstellung lautete „Wohnen für alle, in allen Lebenslagen“. Mit einge­bunden wurde die Caritas, die das ­soziale Management leitet. Theresa Krenn, studio uek architektur, entwarf drei Bewohner­typen – jung, Familie und ältere ­Menschen. Das Ziel war, einen eigenständigen Ort zu schaffen, der mit seiner Umgebung vernetzt ist, das Thema lautet ­Partizipation: „Zäsuren vermitteln jedoch zwischen ­außen und innen, der Garten ist zum Beispiel aber für alle da“, so Krenn.

Bei dem Gesiba-Bauteil (die anderen Bauteile der Oase 22 setzen ÖSW, Buwog und ÖSG um) gibt es 30 betreubare Wohnungen, rund 140 Mietwohnungen und ein geriatrisches Tageszentrum. Die Umsetzung des Partizipationskonzeptes koordinierte Quartiersmanager Daniel Ritter von der Caritas für alle Bauteile. Harald Prokopetz wohnt in einer betreubaren Wohnung im Gesiba-Teil – das heißt, bei Bedarf kann er eine Unterstützung in Anspruch nehmen. Er ist begeistert: „Die Wohnung ist großartig – barrierefrei, mit zahlreichen Haltegriffen und praktischen Vorrichtungen. Besonders gefällt mir aber die Durchmischung – ich bin in keinem Altengetto. Das war für mich ausschlag­gebend.“ Als besonderes Highlight nennt er das Kellerabteil, das gleich neben seiner Wohnung ist. Das Konzept, dass die Bewohner aktiv zum gemeinschaftlichen Leben beitragen sollen, trägt bereits die ersten Früchte: Prokopetz präsentierte dem Bauträger die Idee einer Bibliothek – er leitet diese nun voller Eifer.

Quer gedacht

In der Seestadt Aspern tüfteln ja zurzeit mehrere Baugruppen an ihrem Traumprojekt. Entweder gemeinsam mit einem Bauträger oder vollständig eigenverantwortlich errichten die Baugruppen jeweils ein gemeinsames Gebäude, zum Wohnen und gegebenenfalls auch zum Arbeiten.
Der Bau des Baugruppenprojekts |Que[e]rbau Wien, Aspern startete Anfang 2014. Der Wohnbau wird von einem ­Verein gemeinsam mit dem gemeinnützigen Bauträger WBV-GPA realisiert. Queer steht für Bewohner-Diversität in unter­schiedlichen Dimensionen: Gender und sexuelle Orientierung, Alt/Jung, Herkunft/Sprachen sowie alternative Familienformen und Menschen mit besonderen Bedürfnissen. Mit dem Projekt sollen heteronormative Diskurse durchbrochen werden, ­klassische Wohn- und Lebens­formen hinterfragt werden. Zurzeit läuft noch der mehrstufige, partizipative Entwurfsprozess. Architekt Roland Hampl: „Für die Planungen der Wohneinheiten und Gemeinschaftseinrichtungen wird ein für dieses spezielle Projekt entwickelter Reflexions-Fragebogen verwendet. Dabei geht es um gewünschte Lebensformen, dazu passende Wohnformen und auch um Atmosphärisches. Nach persönlichen Gesprächen mit den künftigen Bewohnern habe ich als Baugruppenplaner dann eine gute Grundlage für wirklich individuelle Entwürfe.“

Kooperatives Planungsverfahren

Viel Zeit und auch einen erheblichen Aufwand für alle Beteiligten bedeutet die Abwicklung eines Bauvorhabens über ein kooperatives Planungsverfahren. Der Vorteil: Alle Vorbehalte gegen den Bau können bereits im Vorfeld ausgeräumt werden. Auf dem Areal des ehemaligen Gaswerks Leopoldau in Wien-­Floridsdorf wurde das bis dato größte ­kooperative ­Planungsverfahren Österreichs ­durchgeführt. Ab 2016 ­werden auf dem 13,5 Hektar großen Gebiet rund um 17 denkmalgeschützte Gebäude, ­Wohnungen, ­Gewerbeflächen und viel Grünraum entstehen. Der Startschuss für das kooperative Planungs­verfahren erfolgte im Herbst 2012. Als begleitende Planer wurden von einer neunköpfigen Jury aus 28 Bewerbern die Teams querkraft architekten, Tillner&Willinger ZT GmbH sowie ABP Arquitectos – Madrid/1:1 Architektur – Wien ausgewählt. Bis Mitte 2014 soll die Flächenwidmung abgeschlossen sein, danach folgen ein kooperativer zwei­stufiger Bauträgerwettbewerb, die konkrete Planungsphase und schließlich im Jahr 2016 der Baubeginn. Parallel zur Flächen­widmung wird ein Zwischennutzungskonzept entwickelt. Geplant ist auch ein eigenes Verfahren für Baugruppen.

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