Dichte Stadt statt ohne Ausweg

Von Hans Jörg Ulreich

Wien wächst stetig und im Vergleich zu ­anderen europäischen Metropolen enorm. Rund 25.000 Menschen ziehen pro Jahr neu zu, mit jährlich nur 6.000 statt 10.000 neu errichteten Wohnungen hinkt Wien dieser Entwicklung gewaltig hinterher.

Um in Wien zukünftig genügend Wohnraum zu schaffen, gibt es im Grunde genommen nur zwei Möglichkeiten: die bestehende Stadt nach innen zu verdichten und den vorhandenen Boden sparsam zu nutzen oder das Wiener Umland zu besiedeln. Die wienerische Lösung sieht aktuell anders aus: Innerstädtische Nachverdichtung gilt als neues Lieblingsbekenntnis der Wiener Bau­politiker, die den Experten dazu in zahlreichen Diskussions­veranstaltungen medienwirksam bei­pflichten. Tatsächlich werden aber brachliegende ­Flächen im Wiener Umland in neue (See-)Städte verbaut. Als in Wien tätiger Bauträger und Sanierer fordere ich seit Langem einen tragfähigen rechtlichen Rahmen für mehr Dichte in der Stadt, und in jüngster Zeit stimmen mir die politisch Verantwortlichen verbal zwar zu, die realpolitische Umsetzung hingegen fehlt immer noch zur Gänze.

Vermutlich sind es die vermeintlichen Ängste der Wähler, die Dichte und die Stadtentwicklung hemmen. Dichte wird von der Allgemeinheit gerne mit sozialen Brennpunkten verknüpft, und auch die Angst vor Veränderungen im ­eigenen Grätzel ist groß. Die Furcht vor Verdrängung aus dem ge­wohnten Lebensbezirk spielt eine weitere Rolle, denn mit Sanierungen im innerstädtischen Bereich verbindet man natürlich Erhöhung der Grund- und damit der Mietpreise. Dazu kommt die Angst vor Verlust von kostbaren Grün-, Frei- und Licht­flächen, Stellplatznöte und vieles mehr. Diskussionen, welchen man sich als Stadt­politiker vermutlich nur ungern stellt. In Wahrheit werden diese Ängste aber weder durch Umlandbebauung gelöst noch durch Nachverdichtung verursacht. Soziale Brennpunkte entstehen durch schlechte sozial­politische Rahmenbedingungen und Isolation sozial Schwacher, nicht durch Dichte. Das schönste Zimmer mit Ausblick hilft nicht, wenn man ihn mit tausend anderen Armen teilt! Französische Banlieus, die trotz Frei­flächen, Spielanlagen und guter Anbindung an öffentliche Verkehrsnetze zum sozialen Brandherd werden, sind dafür das beste Beispiel. Heute ist Wien eine der sichersten Metropolen mit der besten Lebensqualität weltweit. Damit das trotz der steigenden Bevölkerungszahl so bleibt, braucht es jetzt die richtigen Weichenstellungen: ­Baupolitisch bedeutet das, sofort die veralteten inner­städtischen Flächenwidmungspläne, die immer noch von einem Bevölkerungsrückgang ausgehen, zu reformieren und wieder mehr Dichte zuzulassen. Ein Zuwachs an Wohn­fläche etwa darf kein Förderungshindernis mehr darstellen, sondern muss – sofern ökologisch nachhaltig gebaut wird und wenn die Umgebungsdichte es zulässt – sogar zum erklärten Förderungsziel werden. Und wir brauchen einen Mix an sozialpolitischen Rahmen­bedingungen, damit Menschen unterschiedlichster Schichten in der Stadt miteinander menschenwürdig leben können.

Das politische Ziel Nachverdichtung muss ökologisch nachhaltig, dem Stadtbild angepasst und sozial verträglich umgesetzt werden – jetzt. Wenn das Problem rasch und mit diesen Grundbedingungen angegangen wird, dann werden sich die Wienerinnen und Wiener dafür begeistern lassen. Konzepte und Lösungen von Experten gibt es dafür bereits genug. Wenn Wien aber weiter nur in Satellitenstädte im Umland investiert, entwickelt sich unsere Hauptstadt von der beliebtesten Weltmetro­pole bald zu einer Stadt ohne Ausweg – und da kann auch die nächste Seestadt oder eine neue U-Bahn-Verlängerung nichts mehr retten!

Über den Autor
Hans Jörg Ulreich ist seit 1999 selbstständiger Bauträger in Wien, zudem ist er Bauträgersprecher der Wirtschafts­kammer. Als Lektor unterrichtet er an der TU Wien am Institut für Raumentwicklung, Infrastruktur- und Umweltplanung sowie an der FHWien.

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