Sex sells. Nachhaltigkeit nicht?

Lebenszyklus-optimiert zu bauen kann wirtschaftlich hochgradig sinnvoll sein. Ob es aber auch nachhaltig ist? Nicht unbedingt, meinen die Gastautoren Mikis Waschl und Konrad Gornik.

Nachhaltigkeit – frei ins ökonomische Branchendeutsch übersetzt: Eine Maß­nahme, um den Schneeball der ­Folge­kosten schon vor der Errichtung zu beziffern, oder um einen möglichen Mehrwert in der ­Verwertung zu verwirklichen. Irrtümlich auch oft missverstanden als Maßnahme, die sich kurzfristig rechnen muss. Blicken wir kurz auf das „big picture“: Es ist dem nachhaltigen und langfristigen Handeln unserer Eltern- und Großeltern­generation zu verdanken, dass wir in ein geeintes, friedliches und stabiles Europa geboren werden konnten. Die Heraus­forderung der Nachfolgegeneration wurde mit Beginn der globalen Diskussion über Nachhaltigkeit augenscheinlich. „Our ­common future“ hieß der 1987 von den Vereinten Nationen veröffentlichte Bericht, der erstmalig eine generationenfreundliche und nachhaltige Nutzung unseres Planeten ansprach. Rund 25 Jahre später drängt sich die Frage auf, was von diesem Gedankengut geblieben ist, was erfüllt wurde und was wir voraussichtlich ­unseren Kindern übergeben werden ­können: Der aktuelle Trend ist ein Duell zwischen Environmentalist und ­Economist. Ein Indiz dafür ist der Umstand, dass die Chance, Nachhaltigkeit zum größten Wirtschaftsmotor unserer Zeit zu machen, bisher nur vereinzelt wahrgenommen wurde, obwohl man damit mehrere Probleme auf einen Schlag lösen könnte, zumindest die Wirtschafts- und Energiekrise. Die Fakten (siehe Kasten) stellen eindrucksvoll das Ausmaß dar, in dem Immobilien einen Beitrag zu dem vor 25 Jahren erkannten Handlungsbedarf für unsere gemeinsame Zukunft leisten können.

Fenster- oder Glasfassade?

Der relativ hohen Quote an Gesprächen, Diskussionen, Klimagipfeln und Kongressen steht eine ernüchternde Quote an Erreichtem gegenüber. Wermutstropfen: Auch wenn das größte Optimierungspotenzial im Bestand liegt, ist dennoch positiv hervorzuheben, dass zumindest bei Neubauprojekten der lebenszyklische Ansatz zaghaft Einzug hält, womit die Gebäudequalität einen langfristigeren Betrachtungshorizont bekommt. Das Bewusstsein, dass die Folgekosten je nach Gebäudetyp ein Vielfaches der Errichtungskosten ausmachen, und der stetig wachsende Bedarf an belastbaren Zahlen für die Budgetierung unterstützen diesen Prozess. Nicht zuletzt belegen erste Praxisbeispiele, dass durch lebenszyklische Betrachtungen eine ­Reduktion der Lebenszykluskosten um bis zu 30 Prozent möglich ist. Ein Beispiel: Werden eine Fensterfassade und eine Glasfassade in einem lebenszyklischen Ansatz gegenübergestellt, so ist die Fensterfassade, bei einem Betrachtungszeitraum von 50 Jahren, mit 745 Euro pro Quadratmeter NGF um rund 35 Prozent billiger als die Glasfassade. Eine nähere Betrachtung der Fensterfassade zeigt, dass die durch die gesetzlichen Vorgaben gestiegene Nachfrage nach optimierter Dämmung ­ihren Teil zur Blütezeit von Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) beiträgt. Bei Dämmstärken von rund 20 Zentimetern stehen dem Primärenergieverbrauch für die Produktion deutlich höhere Energi­eeinsparungen in der Nutzungsphase gegenüber. Der, wenn man so möchte, „ökologische Break-even“ wird oftmals schon innerhalb der ersten Heizperioden erreicht.

Dabei sollte aber nicht in Vergessenheit geraten, dass die Entsorgungsfrage bei WDVS mit Polystyrol seit Jahren ungeklärt ist. Die Mengen, die aktuell zur Wiederverwertung anfallen, sind verschwindend, doch die Novellierung der EU-Abfallrahmenrichtlinie sieht vor, dass bis 2020 insgesamt 70 Prozent aller Bau- und Abbruchabfälle stofflich verwertet werden müssen. Sollte in den gegenwärtigen Forschungsprojekten keine Variante der Weiterverwendung gefunden werden, bliebe bloß eine thermische Verwertung, wodurch die gegenwärtige positive ­CO2-Bilanz von WDVS in ungewissem Ausmaß beeinflusst werden würde.

EGT-Verantwortung siegt

Der Energieausweis führte zur Entwicklung von Ideen und Know-how, um energetische Sanierungen, energieoptimierte Planung und Ausführung als profitable Maßnahme durchzuführen. Wirtschaftsüblich wurde nach den kostengünstigsten und effizientesten Wegen gesucht, womit jeder Manager seiner EGT-Verantwortung, die bekanntlich höher ist als die Nachhaltigkeitsverantwortung, nachgekommen ist. Der ökologische Rucksack für das Entsorgen der WDVS folgt unweigerlich, aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ist es dann das Problem der nächsten Managementgeneration. 1 : 0 für den Economisten.

Aber lassen Sie uns genauer hinschauen und strapazieren wir das am häufigsten diskutierte Gebäudeelement: das Fenster. Alufenster, Holzfenster, Holz-Alu oder doch Kunststoff? Bei der Errichtung eines Gebäudes werden einem die Kaufmänner der Welt voraussichtlich zum Alu-Fenster raten. Hält länger, dämmt besser, kostet weniger. Gleichzeitig entsteht bei der Herstellung eines Alufensters im Vergleich zum Holzfenster bis zum Zeitpunkt „fertiges Produkt ab Werk“ die rund 9-fache CO2-Belastung. Anders gesagt: Um das bis zum fertigen Produkt eines Alufensters entstandene CO2 auszugleichen, kann man pro Holzfenster rund 7.000 kWh heizen, oder über 50.000 Kilometer Auto fahren. Hochgerechnet auf eine Nutzungsdauer von 30 Jahren mit allen Begleiterscheinungen (Wärmedurchgang, Wartungsintensität etc.) überragt das Alufenster das Holzfenster immer noch um rund 100 Kilogramm CO2. Mit 17.000 Euro ist das Alufenster beim Kassa­sturz nach 30 Jahren aus Lebenszyklus­kostensicht zwar um rund 6.500 Euro günstiger, aber der CO2-Rucksack bleibt. 2 : 0 für den Economist, oder anders gesagt: Zwei Eigentore gegen „Our common future“. Hat sich Nachhaltigkeit wirklich zu einer Leerformel entwickelt, die abge­leitet von der Unzulänglichkeit der Politik zu einer von ROI abhängigen Variablen verkommen ist?

Irgendwann wird Ökologie zu einer Prinzip-Frage, die vieles, was heute ­selbstverständlich geworden ist, infrage stellt, zum Beispiel Lebensqualität. Im kleinen Rahmen stellen wir uns diese Frage jeden Tag, zum Beispiel im Supermarkt – man verlangt Obst, Eier oder Fleisch aus ökologischer/biologischer Erzeugung. Nur, wie viel Ökologie wird bezahlt? Wie viel Ökologie ist tatsächlich auch enthalten? Das Gütesiegel – soweit man diesem trauen kann – und das Preisschild beschreiben das Maß des Verlangens nach Ökologie jedes Nutzers.

Haben Sie eine Bio-Wohnung?

Dies gilt auch in der Bau- und Immobilienwirtschaft. Haben Sie beim letzten Umzug als Kriterien Lage, Miete und Zimmer­anzahl angegeben, oder Ökobilanz der Baustoffe und Art der Wärmegewinnung? Ist man selbst nicht zahlender Nutzer, wird das Maximum an Ökologie verlangt. Geht es um das eigene Kapital, so wird sich das Maß an Ökologie an den finanziellen Rahmenbedingungen orientieren.Eine zusätzliche Verschuldung für mehr Nachhaltigkeit wird nur vereinzelt oder bei Prestigeprojekten in Kauf genommen. Bei Schulden für Autos, Einrichtung und Elektronikgeräte rümpft hingegen niemand die Nase. Warum? Weil die Konsumgeneration das kauft, was als repräsentativ, trendy oder sexy gilt.

Es ist also eine eigene Aufgabe, Nachhaltigkeit heute repräsentativ oder sexy zu machen, damit sie konsumiert = bezahlt wird. Oder man macht nach­haltiges Handeln endlich verbindlich. Die notwendige Expertise, um tatsächlich nachhaltig zu handeln, ist vorhanden. Lebenszyklische Betrachtungen und die Darstellung von CO2-Bilanzen kosten zwar Geld, wenn sie professionell durchgeführt werden, die Amortisation ist aber längst darstellbar. Ein paar Beispiele: Alleine der Unterschied zwischen einem rechteckigen und einem L-förmigen Grundriss eines Gebäudes bewirken rund 70 Prozent mehr Fassadenfläche. Also, unabhängig von der Fassadenart, 70 Prozent mehr Fläche mit Wärmedurchgang. Eine Berechnung für ein spezifisches Projekt zeigte außerdem, dass bei gleichbleibender Belegungszahl eine Erweiterung der Betriebszeiten um 30 Prozent zu einer Erhöhung der Ver- und Entsorgungskosten um bis zu 90 Prozent führen kann! Das Maß an Nachhaltigkeit, aus ökonomischer und ökologischer Sicht, kann, auch ohne vollumfängliches Zertifikat, dargestellt werden. Vielleicht muss es das sogar, da Zertifikate das Nutzerverhalten in der Regel nicht berücksichtigen. Die dafür notwendigen Tools und das Wissen gibt es. Deren schleppende Inanspruchnahme liegt einerseits an der mehrheitlichen Betrachtung von Immobilien als Transaktionsgegenstand: Unmittelbar nach der Errichtung oder der Sanierung werden sie vermarktet, wobei dem Käufer der Preis wichtig ist, dem Mieter die Gesamtmiete. Nachhaltige Betrachtungen spielen eine sekundäre Rolle. Andererseits sind die zuvor genannten Ingenieurdienstleistungen aktuell mehrheitlich auf mittelgroße und große Projekte ausgerichtet.

Politiker sollten auftauen

In beiden ­Fällen ist Aktion durch die ­Politik gefragt. Im ablaufenden Jahr 2013 ist das Energieeffizienzgesetz allerdings neuerlich gescheitert, der Preis für eine Tonne CO2 ist mit rund 5 Euro um rund 25 Euro niedriger als von der EU geplant, und weitere gesetzlich bindende Maßnahmen für nachhaltiges Handeln in der Bau- und Immobilienwirtschaft werden seit Jahren im künstlichen Wachkoma gehalten. Dabei müsste sie die Rahmenbedingungen setzen, wie Frank Wätzold, Professor für Volkswirtschaftslehre, insbesondere Umweltökonomie, an der Branden­burgischen Technischen Universität Cottbus, beschreibt: „Wenn die ökonomischen Anreize so gesetzt werden, dass Naturerhalt honoriert wird, dann werden die wirtschaftlichen Akteure selbst Ideen und Know-how entwickeln, um Naturschutz kostengünstig und effizient zu betreiben.“ Die Voraussetzung dafür: Die zuständigen Personen müssen noch vor Abschluss des Klimawandels auftauen.

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