Wie die Jungfrau zum Kind

Typen wie Christoph Sommer sind in der Immobilienwirtschaft selten. Er sagt, was er denkt. Er sieht in Fehlern nichts Dramatisches, wenn man darauf reagiert. Und er hat mit seinen 37 Jahren bereits ein Projekt geleitet – den Neubau des Campus WU –, wie es andere ihr ganzes Leben nicht machen werden.

Herr Sommer, was hat denn am Campus WU nicht so geklappt?

Christoph Sommer: Bei Projekten dieser Größenordnung gibt es immer Dinge, die anders kommen, als man sie sich wünscht, aber darauf muss man halt richtig reagieren. Manchmal trifft man auch falsche Entscheidungen, das ist dann halt so. Wichtig ist, dass man sich mit einer Frage beschäftigt hat und gute Gründe für seine Entscheidung hat. Wir haben am Campus WU wirklich über fast alles nachgedacht. Zum Beispiel haben wir ein Jahr lang die Vogelabwehr diskutiert: Tauben, Krähen, die ja bekanntlich gerne Fensterdichtungen rauspicken, aber auch Möwen von der Donau, die besonders gerne Glasflächen für ihr Geschäft benutzen.

Und sind die Vögel zum Problem geworden?

Christoph Sommer: Nein, gar nicht. Nach der langen Diskussion haben wir uns entschieden, den Aufwand nicht zu betreiben, und es war richtig. Es gibt heute am Campus WU keine Probleme mit den Viechern.

Dennoch: Was lief nicht so optimal?

Christoph Sommer: Ach, bei der Wege­führung lernt man immer neu dazu – wenn die Leute Abkürzungen nehmen, die nicht als Wege gedacht sind. Wir haben auch zu viele verschiedene Türtypen eingesetzt. Dicke, dünne, automatische, halbautomatische, rein manuelle … Da haben wir höhere Wartungs- und Instandhaltungskosten als erhofft und besonders nutzungsfreundlich ist es auch nicht. Aber das ist halt so, und verglichen mit allem anderen, was funktioniert und wo die Kosten eingehalten oder überraschend niedriger sind, fällt das hoffentlich nicht ins Gewicht. Ich halte es für wichtig, auch mutige Entscheidungen zu treffen.

Eine solche Entscheidung ist sicher die Cortenstahlfassade am Teaching Center und Departmentgebäude D1. Der Regen wäscht den Rost ab und am Boden entstehen Spuren.

Christoph Sommer: Ja, so ist es, da gibt es Spuren. Das wussten wir. Und das haben wir in Kauf genommen. Aber die Architektur war es uns wert. Das ist immerhin das Hörsaalzentrum, und das muss auch was hergeben! Es braucht eine spezielle Fassade, sonst wäre der Campus WU nicht der Campus WU und das Gebäude nicht das Gebäude, in das Studierende auch gerne reingehen und stolz sind. Die bewusste Entscheidung war: Wir akzeptieren diesen Rost-Ablauf und versuchen die Auswirkungen zu minimieren – zum Beispiel indem wir im Boden dort, wo das Rostwasser abtropft, ein Rigol, also Ablaufgitter, einbauen und die Steinplatten nicht bis ans Gebäude ziehen. Das geht zwar nicht überall, aber deshalb das ganze Gebäude anders zu machen, war keine Option. Dort sind halt jetzt Spuren.

Sie wollten als Jugendlicher Lehrer für Geschichte und Englisch werden. Jetzt haben Sie eines der größten Neubau-Projekte geleitet und sind auf dem Weg, sich selbstständig zu machen. Was reizt Sie an der Immobilienwirtschaft?

Christoph Sommer: Bauen ist komplex, es gibt kaum etwas Komplizierteres, außer vielleicht Unternehmensfusionen. Bauen hat mit Menschen zu tun. Zugleich sehe ich enorm eingefahrene Muster bei vielen Organisationen – ob Bauherr oder Entwickler. Aber ich fühle mich gar nicht als Teil der Immobilien- oder Baubranche, auch wenn ich mit meiner Beratungstätigkeit und aufgrund meiner Erfahrung beim Campus WU nun sehr viel in diesem Bereich mache. Ich sehe mich eigentlich als Projektmanager und Organisationsexperte. Und jedes Projekt ist eben anders, das reizt mich. Statt „Haben wir immer schon so gemacht“ will ich helfen, Visionen zu finden und diese umzusetzen. Das geht zum Beispiel in der Bauherrenberatung vor allem in der Projektanfangsphase. Man darf nicht vergessen, die Bauherren sind meistens in einer schwierigen Situation, denn sie kennen sich in ihrem Kerngeschäft aus. Aber nicht in den Prozessen des Bau- und Immobilienmetiers. Ich helfe, das Projekt so aufzusetzen, dass es klappt und er es selbst durchziehen kann.

„Wenn man so eine leitlinie entwickelt, lassen sich daraus viele andere dinge ableiten – etwa spielflächen für die öffentlichkeit.“
Christoph Sommer, blaublau

Ihr Beratungsunternehmen heißt blau°blau. Warum das?

Christoph Sommer: Der Name ergab sich aus einer echten Geschichte. Ein Architekt fragte einen Nutzer nach seinem Farbwunsch. Der Nutzer sagte: „Blau“. Der Architekt fragte nach: „Und welches Blau genau?“ Und da sagte Nutzer in seiner Verzweiflung: „Na ja, Blaublau halt.“ Die Geschichte illustriert für mich gut, wie da zwei Welten aufeinanderprallen. blau°blau will helfen, den Wissensnachteil des Bauherrn durch Organisation, durch Struktur und auch durch Bildung des Bauherren in den Griff zu bekommen.Übrigens: Bei der WU haben wir in einer recht frühen Phase den zukünftigen Nutzern die Entscheidung abgerungen, dass über Farben zwar diskutiert werden darf, aber die Entscheidung letztlich von den Architekten getroffen wird. Denn Aufgabe des Projektmanagements ist es nicht, über die Farben zu entscheiden, sondern sich dann einzumischen, wenn es um die Funktion geht. Ein Boden muss zum Beispiel gut gereinigt werden können. Wir haben daher nicht vorgegeben, welche Farbe der Boden haben muss, aber gesagt, dass unicolor nicht geht, weil man Schmutz zu schnell sieht.

Sie waren 29 Jahre alt, als Sie den Job als Gesamtprojektleiter für den Neubau der WU sowie als Geschäftsführer der Projektgesellschaft antraten. Wie kamen Sie denn dazu?

Christoph Sommer: Wie die Jungfrau zum Kind. Ich studierte erst Maschinenbau – aber nicht fertig. Dann Wirtschaft. Als ich fast fertig war, arbeitete ich für ein Projekt der WU, es ging um die Besiedelung der ehemaligen Post-Zentrale. Als ich später für Siemens tätig war, wurde ich von der WU angerufen und gefragt, ob ich jemanden kennen würde, der ein Neubauprojekt übernehmen könnte. Das reizte mich enorm. Damals bestand das „Projekt“ nur aus einem Neubaubeschluss und der Zusage des Ministeriums, das Geld einer Sanierung auch für einen Neubau verwenden zu dürfen. Heute sieht man ja, was dabei rausgekommen ist. Ich bin wirklich dankbar, dass ich diese Chance und so ein tolles Team hatte!

Was war das Besondere an dem Job?

Christoph Sommer: Eigentlich gar nicht so sehr das Bauen selbst, sondern das Drumherum: Dass wir für 1.500 Mitarbeiter der WU eine Situation schaffen mussten, in der die Übersiedelung positiv wahrgenommen wird. Man darf nicht vergessen, für manche war das eine unangenehme Veränderung – wenn sie zum Beispiel bereits zum dritten Mal umziehen mussten und dann vielleicht noch in ein kleineres Büro. Das hat mit Immobilien per se wenig bis nichts zu tun, eher mit Change-Prozessen, mit Unternehmenskultur und -kommunikation. Aber es verzahnt sich eben alles. Das Büro des Rektors ist nicht an oberster und prominentester Stelle ange­siedelt – dort sitzen die Studierenden. Deren ­Arbeitsplätze in der Bibliothek sind etwa viel pompöser und wichtiger platziert. Das entspricht der Vision eines ­offenen Campus mit Aufenthalts­qualität, weg vom Elfenbeinturm. Wenn man so eine Leitlinie entwickelt, lassen sich daraus auch viele andere Dinge ableiten – etwa dass es Spielflächen für die Öffentlichkeit gibt oder dass man hier gastronomisch ein bestimmtes Niveau hat.

Neben dem Campus hat nun ein McDonald’s aufgemacht. Warum ist der nicht am Campus selbst?

Christoph Sommer: Der hätte eben nicht ins Konzept gepasst. Wir wollten kein Fast Food am Campus. Jede einzelne Gastro­fläche haben wir genau definiert. Hier war ein lifestyliges Lokal geplant, dort ein Stehcafé, dort die gehobene Küche und woanders wieder ein Bierlokal mit möglichst eigener Biermarke. So detailliert wussten wir, was wir wollten und was wir nicht wollten. In Wirklichkeit ist ein Gebäude nichts anderes als ein abgebildeter Prozess, und den darf man nie aus den Augen verlieren.

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