Knalleffekt in Bad Gastein

TREND Verdichtung

Ein Ort in den Alpen. Verlassen, verfallen, aber einzigartig. Bad Gastein erfindet sich neu, und was vor zehn Jahren begonnen wurde, scheint nun Früchte zu tragen.

Das Investment der Münchener Hirmer-­Gruppe war ein ordentliches Statement: Zehn, zwanzig Jahre grummelte Bad Gastein vor sich hin, verfiel. Mit 50 bis 60 Millionen Euro will die Immobiliengruppe nun die zentralen Häuser – das Grandhotel Straubinger, das Badeschloss und das alte Postamt – auf Vordermann bringen. Möglich wurde das erst, als dem Land Salzburg der Geduldsfaden riss und es den damaligen Besitzer ­Philippe Duval, der zahlreiche Gebäude im ­Zentrum ­Gasteins offensichtlich verfallen ließ – zum Verkaufen zwang. Der Deal der Hirmer-­Gruppe sorgte jedenfalls für Furore und war der Beginn eines Hypes. Die Immobilienpreise spielen seitdem mitunter wieder verrückt. Vor 10 Jahren waren Wohnungen um 1.500 Euro pro Quadratmeter zu haben, jetzt kosten sie plötzlich 4.500 Euro pro Quadratmeter. Die Exposées jahrelang leerstehender Hotels landen wieder am Schreibtisch der Investoren. Manche zu Fantasiepreisen, manche mit realistischen Vorstellungen.

Co-Working in der Belle-Époque-Villa

Die internationale Hotelkette Selina bringt ihr alternatives Hotelkonzept mit Co-Working erstmals in die Alpen, und zwar mitten ins Herz von Bad Gastein. Für die Belle-Époque-Villa aus den 1820er-­Jahren, in der zuvor das traditionsreiche Hotel Weismayr Gastgeber war, hat die Kette aus Südamerika einen 30-jährigen Pachtvertrag unterschrieben. Der Umbau geht zwar nicht ganz so ambitioniert ­voran, wie sich das der neue Betreiber vorgestellt hat, dennoch wird bald eine neue Art von Touristen im Selina ein Zuhause finden. Auch andere Traditions­häuser stehen davor, neues Leben eingehaucht zu bekommen: Kurz nachdem der Salzburger ­Christian Ebner das von der Hirmer-­Gruppe und dem Straubinger Platz ge­lesen hatte, kaufte er das denkmalgeschützte Hotel Mirabell mit einer Gesamtfläche von 6.480 Quadratmetern. Der Ex-STRABAG-­Vorstand hat mit speziellen Tourismus-­projekten Erfahrung, war er doch bei der Vermarktung von ­Portopiccolo bei Triest mit an Bord. Mit dem Habsburger Hof wechselte ein anderes prominent ­gelegenes Haus den Besitzer, Berliner Architekten kauften das Kurheim von der Stadt Wien. Gemeinsam mit dem ­Münchner Hotelier Albert Weinzierl erwarb Olaf Krohne vom Hotel Regina das Hotel Astoria, das vom Vandalismus im direkten Zentrum verschont blieb.

Regina: Prototyp eines neuen Hoteltypus
Jason Houzer und Olaf Krohne betreiben seit 10 Jahren das Hotel Regina, ein Gebäude vom Anfang des letzten Jahrhunderts, das gefühl- und stilvoll hergerichtet wurde. Contemporary neben Design­klassikern, Grandezza neben pragmatischer Selbstverständlichkeit. Als sie es aufsperrten, war Gastein praktisch tot. Houzer gesteht offen, dass aus Budgetgründen nicht alles umgesetzt werden konnte. Ähnlich wie in der Budget-Hotellerie hat man auf manches, was weniger nötig erschien, verzichtet. Ein imperfektes Hotel, das eine polyglotte Zielgruppe anspricht. Über das Condé Nast, Vogue und Monocle schreiben. Das kein Roof-Top-Spa hat, aber einen kleinen Kinosaal mit Lammfellen auf den 16 Stühlen. Das Programm wählen die Gäste selbst aus den unzähligen DVDs aus – first come, first serve. Das Personal spricht Englisch, das verstört so manchen Gast, dafür servieren sympathische junge Leute das Essen, und die Betreiber entgehen dem Kampf um die Fachkräfte. „Wir suchen die Leute nach ihrer Persönlichkeit aus, nicht danach, ob sie eine Hotelfachschule absolviert haben“, meint Houzer. Außerdem würden 50 Prozent der Gäste auch kein Deutsch sprechen. Das Regina mit seinen 32 Zimmern hat derzeit noch vier Monate in der Saison ­geschlossen, es schreibt aber schwarze Zahlen.

Hipster und Pensionisten

Die atemberaubende Architektur und die historischen Räume werden derzeit saniert, in einem Jahr soll unter neuem ­Namen aufgesperrt werden. Vom ­Konzept her dürfe man sich ein großes Hotel ­Regina (siehe Kasten) erwarten, erzählt Olaf Krohne, etwas gehobener vielleicht, ein SOHO-Haus, aber die Mischung der Gäste bleibe ganz wesentlich: (Lebens-)Künstler, Familien, Hipster und Pensionisten sollen sich alle wohlfühlen. Außerdem hat Olaf Krohne, gebürtiger Hamburger, der sich als Kind schon in Bad Gastein verliebt hat, noch eine Baubewilligung und ein 150-Einheiten-Konzept von BEHF für das Nachbargrundstück des Hotel Regina in petto und eine ­Option auf das Grand­hotel Gasteiner Hof. Für dieses Landmark-­Projekt mit rund 180 ­Einheiten – möglich sind Zimmer, Lofts, Apartments – ist ­Krohne noch auf Investorensuche. All diese Immobilien-­investitionen ­können nur schwer mit jenen in anderen alpinen ­Destinationen verglichen ­werden. Bad Gastein ist anders. War immer schon international. Kaiser, Könige, ­Literaten und Promis aus der ­ganzen Welt ­kamen hierher und übernachteten in den aus den Hängen ­empor­ragenden ­Belle-Époque-Gebäuden. Der Ort ist eine magische Mischung aus Salzburg, Monte Carlo und St. Moritz. Während alle Tourismusorte auf Alpin­chic und Lederhosendodeln setzen, besinnt sich ein Netzwerk von aufgeschlossenen Hoteliers, Visionären, Investoren, Künstlern und Machern auf diese ­mondäne Einzig­artigkeit. Evelyn und Ike Ikrath vom Hotel Miramonte und dem Haus Hirt und Olaf Krohne vom Hotel ­Regina gehören zu dieser Gruppe. Hier wird Hotel neu gedacht, es sind ausgesprochen ge­lungene Neuinterpretationen aus Grand Hotel, Co-Working-Living-What­ever und Budget-­Boutique – es gibt nicht alles, aber das, was man braucht, in bester Qualität. Ein offenes Weltbild wird hier gelebt. Welches Hotel in den Alpen setzt schon auf Diversität? „Die ­historische Architektur und die ­urbane Struktur machen den Ort einzig­artig“, ist sich Christian Walter, Geschäftsführer von PKF hotel­experts, ­sicher.

Keine Helene Fischer

Kunst, Design und Avantgarde passen perfekt in dieses Bad Gastein. Mit Helene-­Fischer-Konzerten in Bad Hofgastein will man nichts zu tun haben. Leder­hosen und Dirndln passen nicht ins Bild. Hier ­schlendern Hipster durch die steilen Gassen, als wäre man in Berlin oder London – bloß dass dort kein tosender Wasserfall mitten zwischen den Häusern in die Tiefe stürzt. Da ein Kaffeeladen mit veganen Wraps wie in Wien-Neubau, dort ein Design-­Atelier, dann wieder ­morbide Häuser, voluminös und an den einstigen Glanz erinnernd, so beein­druckend, dass man kaum glauben kann, dass sie leer stehen. Noch.