Bürger und Blödsinn

Es hat sich rumgesprochen: Wer Immobilienprojekte blockiert, kann auch schon mal gut kassieren, damit er seinen Mund hält. Sie verzögern den Bau von notwendigen Wohnungen ebenso wie geschützte Tiere und verursachen Zusatzkosten – eine teuflische Spirale für Bauträger und damit auch für ihre Kunden. Über den Sinn und Unsinn von Bürgerbeteiligungen.

Gerade die Stadtentwicklungsgebiete haben es in sich – am Stadtrand gelegen, Heimat für viele Tiere, von denen so mancher noch gar nie gehört hat. Da leben Ziesel, diverse Nattern, Käfer, Schnecken, aber auch selten gehörte Salamander-Arten. Die sollen ihre Heimat natürlich nicht verlieren, darüber sind sich zumindest offiziell alle einig. Doch wenn ein Bauvorhaben über zwei Jahre wegen Streitereien wegen einer acht Mitglieder zählenden Zieselbande verzögert wird, hört sich bei Bauträgern der Spaß oft auf.

Industriewidmung

Die Waldmühle Rodaun ist ein Projekt mit 450 Wohnungen, die im August übergeben wurden. Doch im Vorfeld musste eine Vielzahl an Tieren „gesichert“ werden – hinter nahezu jedem Steinhaufen werden Salamander und Nattern vermutet, und die müssen geschützt werden. Die Bauträger wollten dies auch tun, doch der Aufwand ist enorm. Verwirrend ist bei einem Lokalaugenschein vor Ort vor allem, dass das Projekt eigentlich mitten im Wald ist – das Grundstück war eine ehemalige Industriewidmung. Das heißt, eigentlich unverständlich, wie es hier den Tieren „schlecht“ gehen kann. Die Waldmühle Rodaun ist ein Kooperationsprojekt der Bauträger Wien-Süd, WBV-GPA, ÖSW und Familienwohnbau. Die Wohnungen sind rund um einen 12.000 Quadratmeter großen Park angeordnet. Ein besonderes Augenmerk wurde auf die Erhaltung der Natur und auf ökologisches Bauen gelegt, behaupten die Bauträger. Tatsächlich erfolgte eine naturschutzfachliche Begleitplanung in Abstimmung mit der MA 22 – Naturschutz zum Schutz der Flora und Fauna. Zahlreiche geschützte Tierarten wurden entdeckt, wie beispielsweise der Mittelspecht, die Äskulapnatter oder die Mauereidechse, denen dann eigene Lebensraumnischen geboten wurden.

Bürger erheben ihre Stimme

Doch auch Einsprüche von Bürgern können Projekte für einen kostspieligen, langen Zeitraum lahmlegen. Aktuell bei dem geplanten Projekt auf den ehemaligen Siemensäckern. Hier sind rund 1.200 Wohnungen und drei Türme mit einer Höhe von 35 Metern geplant. Hinter vorgehaltener Hand erzählt ein Bauträger, dass es hier überhaupt nicht um Natur- und Tierschutz gehe, sondern einfach darum, dass die Anrainer eben keine anderen Bewohner vor der Nase haben wollen. Doch die Anrainer haben sich gut organisiert und sorgen mit ihren Einsprüchen nicht nur für medialen Wirbel. Sie kritisieren die Höhe der Bauten, die vorhandenen Altlasten, die Beeinträchtigung des Grundwassers sowie das zusätzliche Verkehrsaufkommen. Kein Bauträger hat ein Budget für Verzögerungen, kalkuliert wird knapp. Mit der Konvention zum Schutz der bio­logischen Vielfalt ist auch Österreich zum Schutz der Fauna und Flora verpflichtet. Das Ziesel zählt zu den vom Aussterben bedrohten Tieren, wie auch der Wachtel­könig, Salamander und diverse Käfer und Nattern. Während Steinbruchbesitzer mit dem Thema längst vertraut sind – diese sind zur Renaturierung von ehe­maligen Abbaugebieten ver­pflichtet –, sind ­tierische Angelegenheiten bei Bauprojekten, vor allem nach dem Okay durch die Baubehörde, noch relativ neu. Aktuell gibt es in Wien allein sechs Entwicklungsgebiete, bei denen es intensive Diskussionen mit Bürgerinitiativen gibt – dazu zählt u. a. die Bebauung auf den Steinhofgründen wie auch in der Geblergasse und in Stammersdorf.

„Es muss neutral informiert und moderiert werden.“
Michael Pech, ÖSW

Umleitung für Ziesel

Für Schlagzeilen sorgt vor allem das Wohnbauprojekt auf dem Areal in ­Stammersdorf, beim ehemaligen Heeresspital. Die beiden Bauträger Kabelwerk und DonauCity wollen hier gemeinsam mit den gemeinnützigen Bauträgern Familienwohnbau und Sozialbau rund 950 Wohnungen errichten. Die behördlichen Genehmigungen für den Bau gibt es bereits. Doch eine Bürgerinitiative sorgte für einen Stopp, hier geht es um Ziesel, an die 200 sollen dort leben. Durch den Einspruch sind bis dato rund 2 Millionen Euro Mehrkosten entstanden. Das Projekt soll nun in den kommenden Wochen gestartet werden und bis zum Frühjahr 2020 fertig sein. Michael Pech, damals auch Mitglied des Vorstandes DC-Wohnbau-AG, stellt jedoch klar: „Das Interessante bei dem Projekt ist, dass wir das Areal 2008 gekauft haben, da gab es dort noch gar keine Ziesel. Als wir die Widmung 2010 erhielten, vereinbarten wir mit dem Bauern, die landwirtschaftliche Nutzung einzustellen, weil wir zu bauen beginnen wollen. Erst dann kamen die Ziesel vom Heeresspitalgelände auf unsere Liegenschaft.“

Ökologisches Monitoring

Dennoch, Thomas Knoll, Knollconsult Umweltplanung, wurde gemeinsam mit der Verhaltensökologin Ilse Hoffmann von den Bauträgern mit der ökologischen Bauaufsicht beauftragt. Diese umfasst ein aufwändiges Monitoring wie auch die sanfte Absiedlung der Ziesel. Bereits vor einem Jahr erteilte die Magistratsabteilung 22 eine naturschutzbehördliche Bewilligung zum Fang und Wiederfang von Zieseln und Feldhamstern mittels Drahtwippfallen sowie für deren Markierung mittels RFID-Transponder und Haarfarbe zu Monitoringzwecken für den Zeitraum bis Ende 2016. Die ökologische Bauaufsicht überwacht die projektgemäße Ausführung des Vorhabens. Nach Abschluss der durchgeführten Maßnahmen muss ein schriftlicher Bericht an die Naturschutzbehörde übermittelt werden. Damit die Ziesel in Ruhe abwandern können, wurde eine aufwändige Konstruktion über den Marchfeldkanal gebaut: Ein Zieselsteg soll die Nager zur Ausgleichsfläche auf der anderen Seite führen. Kostenpunkt dafür: rund 70.000 Euro, bezahlt von den Bauträgern.

Hirschkäfer in Steinhof

Das Problem, dass auf der einen Seite Wohnraum errichtet werden muss, auf der anderen Seite Tiere geschützt werden sollen, zeigt sich auch auf dem Steinhof-­Areal. Dort sollen mit Baustart im Herbst 2016 anstelle der geplanten 600 nun nur rund 200 Wohnungen entstehen. Zuerst einmal von den Bürgern grundsätzlich abgelehnt, gibt es mittlerweile eine Baugenehmigung – und eine Bürgerinitiative, die für den Erhalt der Grünoase kämpft. Zurzeit geht es um den Hirschkäfer. Und: Ein korrekt eingebrachtes artenschutzrechtliches Verfahren kann zu zusätzlichen Auflagen für den Bauwerber führen. Bis Oktober wird ein fertiges Konzept von der extra eingesetzten Kommission für die Bebauung erwartet. Sechs Architektenteams tüfteln an Vorschlägen – insgesamt gibt es elf Baufelder, die jedoch mit einer gemischten Nutzung gestaltet werden könnten: Wohnen, Büros und Ordinationen. Ob der Hirschkäfer dem Bauvorhaben noch einen Strich durch die Rechnung machen kann, ist zurzeit schwer einschätzbar – die ­ersten rund 60 Wohnungen sollen noch heuer errichtet werden. Michael Pech machte bei den Projekten Stammersdorf und Waldmühle Rodaun bereits so seine Erfahrungen, hat aber auch ein positives Beispiel auf Lager, das im Vorfeld ziemlich unter Beschuss war: das Karree Breitensee. Das ÖSW errichtete gemeinsam mit dem Bauträger WBV-GPA auf dem ehemaligen Areal der Straßenbahnremise Breitensee ein Wohnbauprojekt mit rund 200 geförderten und freifinanzierten Wohnungen, einer Volkshochschule, einem Kindergarten, einer Arztpraxis und einer Bankfiliale. Der gemischt genutzte Wohnbau motivierte jedoch noch weit vor Baubeginn eine Bürgerinitiative. Dabei ging es einerseits um die Bauhöhe – aber auch um die prinzipielle Bebauung. Die Stadt sprach sich klar für eine Verdichtung aus. Die Bauträger gingen in die Offensive, da bekannt war, dass die Bürgerinitiative „Aktion lebenswertes Breitensee“ bereits eine Garage erfolgreich verhindert hatte. So wurden die aufgebrachten Bürger in die Jury zum Architekturwettbewerb geholt und durften mitentscheiden, welches Projekt gebaut werden soll. Die Bürger­initiative stimmte gemeinsam mit der Jury für das Siegerprojekt von den Architekten Neumann + Partner und g.o.y.a. Pech appelliert jedoch: „Die Politik ist aufgerufen, zwischen berechtigten Anliegen der Bevölkerung und den Bedürfnissen der zukünftigen Bewohner einen Interessenausgleich herzustellen. Dieser klassische Zielkonflikt zwischen sinnvoller Bürgerbeteiligung und der Einforderung von Bürgerverantwortung benötigt einen verantwortungsvollen Umgang. Bauträger brauchen Rechtssicherheit bei bereits gültiger Planungsgrundlage. Bei Neufestlegungen müssen Betroffene frühzeitig eingebunden werden, da habe ich vollstes Verständnis, doch es muss neutral informiert und moderiert werden und in einer Art Verhandlungsverfahren zu einer gemeinsamen Lösung kommen.“

Rechtsstreit inklusive

Es geht ums Geld und um Emotionen. Schnell kann es da zu einem handfesten Streit kommen, der beim Gericht endet. Dabei ist oft bereits im Vorfeld eine Unterstützung „von außen“ sinnvoll – eine Moderation durch Experten wie wohnbund:consult, die bereits eine Vielzahl an Erfahrungen bei Mediationen und der Kommunikation mit Anrainern oder auch Bewohnern haben. Doch wie geht es nun weiter? Reservieren Bauträger mittlerweile ein Budget für Verzögerungen? „Bis jetzt machen wir das nicht, die Verzögerungen, die wir bis dato erlebt haben, waren ja auch nicht vorhersehbar. Aber ja, wenn ein Bauträger ein ungewidmetes Feld kauft, sollte er nicht mit einem starren Zeit- und Budgetplan rechnen“, räumt Pech ein.

 

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