Einmal wohnen mit allem, bitte!

Neben Co-Working beginnt sich das Co-Living als eigene Assetklasse zu etablieren. Auch Wien spielt bei diesem Trend mit. Ein Feature von Heimo Rollett.

Der Anzug war übertrieben. Als ich das ZOKU in Amsterdam betrete, bemerke ich, wie schnöselhaft ich unter all den lässigen Turnschuh tragenden Wissens­arbeitern herausblitze. Ich bin in der obersten Etage mit den Gründern von ZOKU verabredet – dort, wo sich Co-Working-Flächen mit Gastro und Aufenthaltsräumen vermischen.

Bei den einen ist es eine Riesen-WG, bei anderen eine Mischform aus Hotel­gästen und Studenten, Apartments überlappen sich mit Arbeitszimmern, Fitnessräumen und Roof-Top-Yoga – Co-Living ist nicht klar definiert. Fest steht: Co-Living ist international der letzte Schrei und kann auch in den Städten Österreichs zu einem eigenen Wohnformat ­avancieren. Die ersten internationalen Anbieter beginnen mit der neuen Wohnform in der Bundeshauptstadt.

Alles inklusive

Wohnraum für Arme sieht aber anders aus. Die Konzepte richteten sich hauptsächlich an gut bezahlte, junge Berufs­tätige aus der Generation der Millennials und der Generation Y, die modern, flexibel und zentral leben, aber gleichzeitig Teil ­einer Gemeinschaft und untereinander vernetzt sein wollen. Meistens vermischen sich kleine Zimmer oder Apartments mit diversen Allgemeinflächen wie Arbeitszonen, Koch- und Essbereichen, Meeting­räumen, Gärten, Fitnessräumen, Yoga- und Kino-Einrichtungen. Lässige Bereiche zum Abhängen, Playstation oder Tischtennistische sind auch beliebt. Apps zeigen, wann die nächste Waschmaschine frei wird, und die Miete ist selbstverständlich inklusive allem, also auch Betriebskosten und Reinigung.

Der aber vielleicht größte Unterschied zu modernen „Studentenheimen“ ist, dass es eine aktiv gemanagte Community gibt. „Wir wollen Menschen und Ideen miteinander verbinden“, erzählt mir Marc Jongerius, einer der beiden ZOKU-­Gründer, seine Vision. Im Aufzug konnte ich die aktuelle Liste an gemeinsamen Aktivitäten lesen: Reise-Schreib-Workshop, Hatha-Yoga-Einheiten, Open Stage für alle, Origami-­Workshop und natürlich das regelmäßige Community Dinner waren da zu finden. Alles kann, nichts muss. Bislang ist das Haus in ­Amsterdam das einzige der Marke, in Wien wird aber ein 131 Lofts umfassender Standort beim ­Prater Glacis, direkt neben der WU und der Messe, eröffnen. „Wenn Menschen zum Arbeiten in eine andere Stadt ­kommen, fühlen sie sich logischerweise fremd. Wir haben daher alles, was Barrieren schafft, weggelassen“, so Jongerius, und zeigt auf die mittig gelegene Bar im Co-Working-­Bereich. Statt einer abblockenden Rezep­tion ist sie das Herzstück dieser Ebene. Von hier aus duftet der ­Espresso, hier ist stets Personal anzutreffen, die rundum drapierten Kuchen, Salzmandeln, Früchte und bunten Zuckerl wollen im Vorbei­gehen aufschnabuliert werden.

Beim globalen Immobilienberater ­Cushman & Wakefield (C&W) glaubt man daran, dass Co-Living als Assetklasse aktuell rapide wachsen wird. Zählten die Deals von 2014 bis 2018 durchschnittlich 62 Betten, rechnet C&W vor, dass in den nächsten drei Jahren 180 Betten pro Deal gehandelt werden. Ein anderes Indiz: 2017 wurden 200 Millionen US-Dollar als Finanzierung aufgebracht, 2018 waren es schon 2,2 Milliarden US-Dollar.

Hilfe beim Ankommen – und beim Ausziehen

Dann lerne ich Richard kennen. Er ist ein sogenannter Sidekick – ein Helfer, Assistent und Kumpel. Er kuratiert die Freizeit- und Eventtipps, hilft bei Alltäglichem im Haus und bei nicht so Gewöhnlichem, etwa wenn Gäste in Holland ein Bank­konto eröffnen müssen oder eine Wohnung für die Zeit nach ZOKU suchen. Während ich mein Sakko ausziehe und die Hemdsärmel hochkremple, um nicht ganz so patschert auszusehen, bedankt sich ein Turnschuh-Arbeiter bei Richard, dass die „Transfers“ nun geklappt haben. High five im Vorbeigehen, ich tapse als Alien artig hinterher.

Die Mieter im ZOKU arbeiten hauptsächlich für globale, innovative Firmen wie Booking, Nike, Google, Microsoft etc. Im The Student Hotel sieht das anders aus. Das Konzept mischt Hotelgäste mit längerfristigen studentischen Mietern und Co-Workern. Das derzeit größte Hotel­projekt in Wien wird ein solches Haus. An der Nordbahnstraße wird es über 1.644 Betten verfügen. Geplante ­Eröffnung ist wie bei ZOKU auch 2020. Bei dieser Bettenanzahl verblassen andere führende Marken. Das Old Oak in London vom Anbieter The Collective verfügt „nur“ über 550 Einheiten. Und das derzeitige Vorzeigeobjekt der Medici Living Group zieht sich zwar über zwei sieben Stockwerke hohe Gebäude in Berlin Mitte, schafft es aber auch nur auf 266 Betten. Wobei, ­diese Typen haben noch viel vor. „Wir wollen das WeWork des Co-Living werden“, gibt Gründer Gunther Schmidt gerne als Parole aus. Die Gruppe ist also mit dem Anspruch angetreten, der weltweit führende Co-Living-Anbieter zu werden, und bezeichnet sich selbst schon als solchen. Berlin, Chicago, New York – in diesen Städten ist die Medici Living Group bereits mit ihrer Marke Quarters vertreten. (Darüber hinaus mietet sie einzelne Wohnungen an, möbliert sie und vermietet sie mittels eigener Vermittlungsplattform weiter – auch hier ist Medici Living klarer Marktführer.)

1 Milliarde Euro für Expansion

Ende letzten Jahres schaffte Medici Living dann aber den richtig großen Coup: Das an der Frankfurter Börse ­notierte Immo­bilienunternehmen Corestate Capital konnte für ein europäisches Investitionsprogramm im Umfang von 1 Milliarde Euro gewonnen werden – die bislang größte geplante Investition in der Geschichte der noch jungen Asset­klasse Co-Living weltweit. Anfang dieses Jahres folgte dann eine ähnliche Kooperation im Umfang von 300 Millionen Dollar in den USA mit der W5 Gruppe. Für Medici Living bedeuten die beiden ­Kooperationen etwa 7.300 zusätzliche Zimmer in den nächsten drei bis
5 Jahren.

Während ich in Amsterdam die ­unfassbar intelligent gemachten Zimmer mit ihren in der Wand versenkbaren Stiegen bewundere, fällt mir ein, dass ich die Idee einer institutionellen WG doch schon mal in Wien gesehen habe. Das Österreichische Siedlungswerk (ÖSW, das heuer 70 ­Jahre alt wird) hatte vor acht Jahren das mutige Konzept Citycom2 umgesetzt und das ­erste österreichische WG-Projekt im Neubau eröffnet. 164 Zimmer gibt es. Es sollte eine gemanagte WG mit gleichen Rechten und gleich viel Platz für alle sein. Kein Kapo, der am Mietvertrag sitzt, die schlechten Zimmer weitervermietet und die unlieb­samen Mitbewohner ­beliebig für die Kühlschrankreparatur oder zum Putzdienst einteilt. Alles in allem war das Projekt ein Erfolg, erinnert sich ÖSW-Vorstand Michael Pech heute im Rückblick. Lessons learned? Die Einzel­vergabe von Zimmern in bestehenden WGs sei eine Zeitlang schwierig gewesen, da die bestehenden Mieter ja immer den gleichen Preis zahlen und sich gegen neue Bewohner eher wehren. Mit einem moderierten Prozess sei man aber daran, dieses menschliche Phänomen in den Griff zu bekommen, so Pech. Die meisten Bewohner im Citycom2 sind Studenten, aber grundsätzlich kann jeder dort wohnen.

Ein Gin-Festival reißt mich aus meinen Gedanken. „Eine Empfehlung für heute Abend, ich hab’s selbst getestet“, zwinkert mir der Sidekick Richard zu. Einer seiner freizeitlichen Abendtipps für die Gäste. Gott sei Dank fliege ich schon am Nachmittag nach Wien zurück, denke ich mir, mit meinem Anzug wäre ich am ­Amster­damer Festival wohl der Vollgockel.